Edzard Schaper: Die sterbende Kirche. Fischer 1953

Schapers Leben ist eine Grenzbiographie aus Kriegszeiten, irgendwo im Ungewissen zwischen Estland, Deutschland, Russland und der Schweiz. Auf diesem Stamm ist sein Katholizismus gewachsen.

Linsmayer schreibt: „Wie sein baltisches Ambiente nicht nationalistische Tendenzen,  sondern besonders bedrohte Räume  und Menschen evoziert, ist auch sein Christentum, mit dem Schaper sich wie Bergengruen oder Reinhold Schneider zur katholischen Literatur der Adenauer-Ära gesellte, nichts Konventionell-Beschönigendes, sondern etwas Tragisches, Paradoxes, der Gegenwart letztlich Unangemessenes.“

Edzard Schaper taucht nicht nur mit diesem Buch auf ad-fontes.org auf.

In der Sterbenden Kirche ist die tragische, schöne Gestalt ein orthodoxer Priester, Vater Seraphim:

Er selbst, Vater Seraphim, war Feldpriester geworden. Er hatte die Truppen an vielen Fronten gesegnet, die Sterbenden gesalbt und die Verwundeten getröstet, alles, ohne den Krieg zu heiligen; er sah in ihm Gottes strafende Hand und empfahl seine beiden Söhne in heißer Fürbitte der Gnade des Herrn. Sein Wesen und sein Herz machten ihn für sein schweres Amt entweder völlig ungeeignet, nach menschlichem Ermessen und herrschender Moral, oder aber zu einem Diener seiner Sache – Gottes Sache! -, wie ihrer die Armee gewiß nicht viele gehabt hat. Er war zu fromm, um sich mit den Kavallerieoffizieren zu betrinken und, Sporen an den Stiefeln, Krakowiak zu tanzen, wie es etliche von seinen Amtsbrüdern taten; er war auch nicht gewissenlos genug, um im Namen Gottes zu verkünden, die grauen Männer im jenseitigen Schützengraben seien Geschöpfe des Satans. Er war getreu dem Worte seines Herrn und verlor in der Nacht des Hasses nicht den Weg unter den Füßen, den er als junger Schüler des geistlichen Seminars mit dem Erlebnis von Golgatha in den jugendlichsten, erleuchteten Sekunden seines Daseins mit Tränen in den Augen erschaut hatte. Aber unter dieser strengen, heiligen Auffassung seines göttlichen Amtes hatte sein Wesen auch nicht an Wärme und Menschlichkeit eingebüßt.

– Edzard Schaper: Die sterbende Kirche, 10

Nach Gottes Ratschluß? War es denn Gottes Wille, daß Kelch und Tisch dem Kaiser gehören und von ihm versteigert werden sollten? Schändete Gott seine eigene Wohnung? Dann – dann kämpfte er, Gottes Diener, gegen seinen eigenen Herrn, dann verriet er ja auch Gottes Willen, wenn er den Staat um sein Eigentum betrog? Allmächtiger, welches Labyrinth des Satans! Aber war es wirklich so? Als der graue Morgen anbrach, erkannte Vater Seraphim, daß aus Schuld neue Schuld entsteht und daß alles Denken zerbricht und jeglicher Glaube ohnmächtig in die Runde irrt, wenn aus seinem heiligen Ring ein Glied gebrochen ist. Es gab eine Erbsünde, die neue Sünden gebar, und es gab einen grausamen Riß in dem Gedankenturm des Menschen um Gott und Welt, der schon im Kreisschluß von drei oder vier Fragen erschien.

– Edzard Schaper: Die sterbende Kirche, 75




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