Edzard Schaper: Um die neunte Stunde oder Nikodemus und Simon. Hegner 1953

Der Nikodemus gehört in das seltene Genre biblischer Fiktion. Schaper legt dem Pharisäer einige tiefe, bewegende Gedanken in den Mund, die hier anklingen sollen:

Nikodemus [ratlos vor sich hinsprechend] : »Gott soll bei uns sein? – Das ist das Unbegreifliche, dem ich immerzu nachsinnen muß: ich habe Antwort haben wollen, und nun, da sie mir und Euch und uns allen gegeben worden ist … jetzt habe ich nur Ohren, die sie gehört haben, und kein Herz, das Antwort gibt. Denn wenn das wahr sein sollte, wenn das geschehen wäre, Joseph, Joseph ! Wenn Gott bei uns ist und jeder Knecht ihn schlagen und anspucken und verhöhnen darf, wie wir es gesehen haben, dann … dann glaube ich nicht mehr, nichts mehr, nicht mehr an mich selbst, dann ist das alles nur ein wüster Traum, dann hat der Allerhöchste seine Schöpfung verlassen … «

Edzard Schaper: Um die neunte Stunde oder Nikodemus und Simon, 68

Nikodemus weicht zurück vor der Folgerung. Seine Worte klingen lehrhaft und hohl: »Aber darf Gott uns richten, wenn seine Gnade uns nicht erreicht ? Wenn unsre Augen dunkel bleiben, zu klein sind für ihn? – Er selber hat uns so geschaffen.« Joseph: »Aber deshalb wohl meinte er, wir müßten von neuem geboren werden.«

– Edzard Schaper: Um die neunte Stunde oder Nikodemus und Simon, 43

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