Romano Guardini: Welt und Person. Grünewald 2018

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Das Mittelalter hatte Kultur höchsten Ranges. Es strebte nach Erkenntnis und baute in seinen Summen eine hohe Welt der Einsicht auf. Es schuf mächtige Werke, vollbrachte kühne Taten und gestaltete Ordnungen des menschlichen Zusammenlebens von letzter Gültigkeit. Das alles geschah aber in einer Haltung, die, wenn sie bewußt geworden wäre, sich selbst als Dienst an der Vollendung von Gottes Weltenwerk bestimmt hätte. Der Mensch war bemüht, das Werk zu vollbringen, nicht über dieses Werk selbst nachzudenken deshalb, weil ihn das zu Schaffende interessierte, nicht er selbst als Schaffender. Auch hier wird mit der Neuzeit etwas anders. Das Menschenwerk bekommt eine neue Bedeutung, und eine neue Bedeutung der Mensch als Werkender. Das Menschenwerk zieht den Sinn an sich, der vorher im Gotteswerk der Welt gelegen hatte. Die Welt verliert den Schöpfungscharakter und wird Nature; das Menschenwerk verliert die Haltung des vom Gottesgehorsam bestimmten Dienstes und wird Schöpfungs; der Mensch selbst, der vorher Anbetender und Dienender war, wird »Schaffender. Das alles drückt sich in dem Worte Kultur aus. Auch in ihm liegt ein Autonomieanspruch. Der Mensch greift nach dem Dasein, um es aus eigenem Willen zu gestalten. Indem er die Welt als Natur sieht, nimmt er sie Gott aus der Hand und stellt sie in sich selbst. Indem er sich als Persönlichkeit und Subjekt versteht, löst er sich aus der Macht Gottes und macht sich zum Herrn des eigenen Daseins. Im Willen zur Kultur schickt er sich an, die Welt nicht im Gehorsam gegen Gott, sondern als eigenes Werk aufzubauen.

– Romano Guardini: Welt und Person. Grünewald 2018, S. 21



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