Kardinal Newman hat Ende des 19. Jahrhunderts seine Autobiographie vorgelegt, d.h. die Geschichte seiner Bekehrung vom Anglikanismus zum Katholizismus. Es ist die Geschichte eines Gelehrten, der eine gelehrte Bekehrung vollzieht, und eines Mannes, der nicht nur suchen, sondern auch finden will – und er findet -, im intellektuellen Alleingang gewissermaßen.
Den englischen Originaltext gibt es hier, die deutsche Übersetzung liegt hier vor.
Im Frühjahr 1839 hatte meine Stellung in der anglikanischen Kirche ihren Höhepunkt erreicht. Ich hatte das größte Vertrauen in die prinzipiellen Grundlagen meiner Polemik und einen wachsenden Erfolg, anderen diese zu empfehlen. Im vorausgehenden Herbst hatte mich das Hirtenschreiben des Bischofs etwas verstimmt. Doch bin ich im Besitz eines Briefes, der beweist, dass alle Bitterkeit aus meiner Seele verschwunden war. Um dem allgemeinen Tumult gegen mich und andere zu begegnen und den Bischof zufriedenzustellen, hatte ich, wenn ich mich recht entsinne, im Januar alle gegen die römische Kirche gerichteten harten Äußerungen von anderen und besonders von mir zum Zweck der Aufnahme in die Einleitung unserer Veröffentlichungen gesammelt. Da ich mir bewusst war, dass meine religiösen Anschauungen nicht, wie man sagte, aus römischen Quellen geschöpft, sondern im Gegenteil die Frucht meines eigenen Geistes und der Umstände waren, in denen ich lebte, empfand ich für die Beschuldigungen, mit denen ich überhäuft wurde, nur Verachtung. Es war richtig, dass ich mir ein sehr kühnes religiöses System gebildet hatte, ganz verschieden zu dem damaligen Protestantismus, aber es war nur die Zusammenfassung und geordnete Darstellung von Aussagen großer anglikanischer Autoritäten und ich hatte das gleiche Recht wie die evangelikale Partei und mehr Recht als die Liberalen, die beide an ihren eigenen Lehren festhielten. Wie ich anlässlich des Traktates go sagte, forderte ich für alle, die es wünschten, das Recht, in der anglikanischen Kirche mit Bramhall an der Gebetsgemeinschaft mit den Heiligen; und mit Andrewes an der Messe mit Ausnahme der Transsubstantiation festzuhalten; oder mit Hooker zu glauben, dass selbst die Transsubstantiation den Kirchen keine Veranlassung geben dürfe, die Gemeinschaft abzubrechen; mit Hammond daran festzuhalten, dass ein allgemeines Konzil, wenn es wirklich ein solches sei, in einer Glaubensfrage weder jemals irrte noch irren werde; mit Bull, dass der Mensch durch den Sündenfall die innere Gnade verliere; mit Thorndike, dass die Buße die nach der Taufe begangenen Sünden tilge; oder mit Pearson, dass der allmächtige Name Jesu nur in der katholischen Kirche zu finden sei. «Jeder liest seine eigene Ansicht heraus», bemerkte ich oft, wenn Menschen protestantischer Gesinnung sich auf die Artikel, Homilien oder Reformatoren beriefen. Ich wollte damit sagen, wenn sie ein Recht hatten, große Worte zu machen, so hatte ich die Freiheit, dasselbe zu tun und die Mittel, ihnen durch meine Berufung auf dieselben oder ähnliche Instanzen mit gleicher Münze heimzuzahlen.
– John Henry Newman: Apologia pro vita sua. Media Maria 2010, 170f.
Und ebenso streben in jüngster Zeit die Dinge außerhalb der katholischen Kirche – entsprechend den Umständen der Zeit mit viel größerer Schnelligkeit als im Altertum – dem Atheismus in dieser oder jener Form zu. Welches Bild und welchen Anblick bietet ganz Europa in unseren Tagen und nicht nur Europa, sondern jeder Staat und jede Zivilisation der Welt, die unter dem Einfluss des europäischen Geistes stehen! Wie traurig ist, was uns am meisten angeht, das Bild, das uns die Gebildeten Englands, Frankreichs und Deutschlands in religiöser Hinsicht bieten, auch wenn man die Religion nur in ihrer elementarsten und einfachsten Form annimmt.
– John Henry Newman: Apologia pro vita sua. Geschichte meiner religiösen Überzeugungen. Media Maria 2010, 354