Nouwens schöne geistliche Interpretation von Rembrandts Gemälde vom Verlorenen Sohn. Nouwen wird sehr persönlich, erzählt seine eigene Reise hin zum Gemälde, seine Gespräche. Das wird die einen nerven, andere aber in die Geschichte mit hineinnehmen.
Im Gemälde steht neben dem Vater der ältere Sohn, der nicht davongelaufen ist – er trägt das gleiche Gewand wie der Vater. Vor diesem kniet das zurückgekehrte jüngere Kind:
Wenn ich den jüngeren Sohn sah und an Rembrandts Leben dachte, leuchtete mir völlig ein, daß Rembrandt ihn ganz persönlich aufgefaßt haben muß. Als er die „Rückkehr des Verlorenen Sohnes“ malte, hatte er ein Leben hinter sich, das von großem Selbstbewußtsein, von Erfolg und Ruhm, dann aber auch von vielen schmerzlichen Verlusten, Enttäuschungen und Fehlschlägen geprägt war. Durch all das gelangte er vom äußeren Licht zum inneren Licht, von der Darstellung äußerer Ereignisse zur Darstellung innerer Bedeutungen, von einem Leben voller Dinge und Menschen zu einem mehr von Einsamkeit und Schweigen gezeichneten Leben. Mit dem Alter wuchs er weiter in das Innere und in die Stille hinein. Es war ein spirituelles Nach-Hause-Kommen. Aber der ältere Sohn gehört ebenfalls zur Lebenserfahrung Rembrandts. Tatsächlich stehen viele moderne Biographen einer romantischen Sicht seines Lebens durchaus kritisch gegenüber. Sie betonen, daß Rembrandt von den Wünschen seiner Gönner und seinem Geldmangel viel stärker abhängig war, als man gewöhnlich meint, daß seine Bildthemen oft mehr auf damals herrschende Moden zurückzuführen sind als auf seine geistig-künstlerische Vision und daß seine wirtschaftlichen Zusammenbrüche ebenso mit seinem selbstgerechten und unleidlichen Charakter zusammenhängen wie mit mangelnder Anerkennung durch seine Umwelt. Verschiedene neue Biographien sehen in Rembrandt eher einen eigensinnigen, berechnenden Querulanten als einen Sucher nach tieferer Wahrheit.
Nouwen, 82