Gisbert Greshake wendet sich in diesem Buch der zentralen Frage zu, ob und welchen Sinn das menschliche Leiden hat. Seine Überlegungen, auch über die aktuellen Diskussionen um die Allmachtsfrage Gottes und die Wichtigkeit des Todes Jesu, geben Impulse für den christlichen Glauben im Angesicht menschlicher Leidenserfahrungen.
Wie kann der gute Gott das Leiden schaffen? Schwierigste aller Fragen. Er schafft es gar nicht, er lässt es nur zu – Quelle des Leidens ist der freie Mensch:
Wenn der Mensch sich kraft seiner Freiheit gegen Gott und das Angebot seiner Liebe entscheidet, wenn er sich weigert, Geschöpf zu sein und anzuerkennen, dass er nur von Gott her Vollendung seines Daseins findet, dann zerstört der Mensch kraft dieser seiner Freiheitsentscheidung sich selbst. Im Widerspruch gegen Gott verfehlt er sich, findet er nicht zur Identität und Sinnerfüllung seines Lebens. Das bedeutet aber, dass seine negative Freiheitsentscheidung unweigerlich Leid konstituiert. Die Entfremdung von sich selbst, das Nicht-sich-einholen-Können und damit die Sinnlosigkeit des Daseins schafft Leiden und wird erfahren als Leiden.
(Greshake, Warum lässt Gottes Liebe leiden?, 2007, S. 37)
Und vom Einzelnen geht das Leid in die Welt hinaus, alle tragen an allem mit in der großen Menschheitsfamilie:
Mehr noch: Auf Grund dessen, dass der Mensch von seiner Urbestimmung her auf Kommunikation mit Gott und anderen Menschen angelegt ist, hat jede verfehlte, Leid erzeugende Freiheitsentscheidung nicht nur ihre Wirkung im einzelnen Subjekt und in der Welt, sondern sie greift aggressiv auf die andern und das Ganze über. So wird jemand, der seine Freiheit gegen Gott gebraucht und sich selbst in unendlichen Variationen vergötzt, zur Ursache des Leidens für die andern, ob dieses Leiden nun entsteht durch unheilvolle physische Gewalt, durch Krieg, Ausbeutung, Ungerechtigkeiten, Verbrechen aller Art oder durch psychische Gewalt, Hass, Lieblosigkeit, Neid und Eifersucht.
(Greshake, 2007, S. 39)
Was macht nun Gott mit dem Leiden (und mit den Sünden) der Menschen. Er lässt sich auf ihre Freiheit ein, lässt sich davon bestimmen, leiten:
Mit den Worten von Karl-Heinz Menke: Indem Gott eine Schöpfung ins Werk setzt, hat er sich „unwiderruflich selbst dazu bestimmt, sich von den Folgen der Freiheit seiner Geschöpfe selbst bestimmen zu lassen. Er hat sich deshalb nicht zu einem ohnmächtigen Zuschauer degradiert. Aber sein Handeln in Welt und Geschichte ist ein Bundeshandeln, das die einmal gewährte Freiheit bzw. Eigenständigkeit des geschöpflichen Bundespartners in keiner Weise revozieren oder gar aufheben kann“.
(Greshake, 2007, S. 46)
Und was machen die Menschen wiederum mit ihrem Leiden, mit ihren Krankheiten?
Der französische Literat Andre Gide schreibt: „Ich glaube, dass Krankheiten Schlüssel sind, die uns gewisse Tore öffnen können. Ich glaube, es gibt gewisse Tore, die einzig die Krankheit öffnen kann. Es gibt jedenfalls einen Gesundheitszustand, der uns nicht erlaubt, alles zu verstehen“.
– G. Greshake, Warum lässt Gottes Liebe leiden?, Freiburg 2007, S. 109