Der Paulus von Holzner stammt noch vom Beginn des 20. Jahrhunderts, die zweite große Auflage ist von 1937 und erschien unter dem Titel „Paulus: Ein Heldenleben im Dienste Christi“. Seitdem folgten unzählige Auflagen, auch Übersetzungen, in den Fünfzigern auf französisch, auf englisch, auch auf niederländisch. Im Deutschen liegt auch eine gekürzte Auflage vor, daneben eine große, mit Bildern versehene.
Die Biografie des Völkerapostels bleibt unerreicht und ist das große geistlich-historische Buch, um in die Welt der jungen Kirche hineinzufühlen.
Der Autor soll jedoch selbst zu Wort kommen:
In der Nähe von Tarsus zeigt man eine Felsenhöhle, in der Paulus nach einer alten Überlieferung die folgenden Jahre als Einsiedler zugebracht haben soll. Mit größerer Wahrscheinlichkeit werden wir ihn wohl im Judenquartier von Tarsus in der Zeltmachergasse suchen. Wie gut war es, daß er als Pharisäersohn von Jugend auf seine Finger fleißig in der Weberarbeit geübt hatte! Wie früher in Arabien und nachmals auf seinen Missionsreisen, so machte ihn dieses Handwerk unabhängig von fremder Hilfe. Wir können uns den Aufenthalt in Arabien und diese Jahre von Tarsus gar nicht wichtig und entscheidend genug vorstellen für das innere Wachstum und die Ausreifung der paulinischen Theologie. Wenn Paulus in seinen Briefen so exklusiv von seinem Evangelium“ spricht: hier haben wir die ersten Anfänge! Auch für die übrigen Apostel bildeten Jesu Person, seine Erscheinung, seine Berufsführung, sein Kreuz und seine Auferstehung, sein Erlösungswerk den Gegenstand unermüdlichen Sinnens und Nachdenkens. Aber die tieferen Zusammenhänge und Folgerungen lagen noch wie unausgewickelt in ihrem Glaubensbewußtsein. Den ehemaligen Rabbiner hingegen drängte es vor allem, sich in die letzten Tiefen jenes Geheimnisses zu versenken, in das auch die Engel zu schauen gelüstet“ (1 Petr. 1, 12).
– Josef Holzner, Paulus, Kap.10
Immer rauher wurden die Wege, immer frischer blies der Wind von den Bergen. Barnabas ließ sich vom Eifer seines Freundes mit fortreißen, aber Markus erhob heftigen Widerspruch. Was wollten sie da oben im Gebirge? Keine Synagoge, kein schützendes Ghetto, fast unpassierbare Bergpfade hart an den Abgründen, weggerissene Brücken und Stege und lauernde Wegelagerer. So hatte er sich die Sache nicht vorgestellt. Dem Großstadtkind, das noch nie mit der wilden Natur im Kampf gestanden, entsank der Mut. Er konnte und wollte nicht mehr weiter. Das kühne Ungestüm einer Führernatur wie Paulus war zu stark für ihn. Er fühlte sich den Schwierigkeiten und Gefahren, vor denen ihm vielleicht der Wirt im Gasthaus zu Perge Angst gemacht hatte, nicht gewachsen und eröffnete seinem Oheim den Entschluß, umzukehren und mit dem nächsten Schiff nach Cäsarea heimzufahren. Barnabas konnte diesen Entschluß nicht billigen. Er stand vor der Wahl, entweder Paulus und die Mission im Stich zu lassen oder sich von seinem Neffen zu trennen. Schweren Herzens entschloß er sich für das letztere. Die apostolische Pflicht verlangte es. Die Fahnenflucht des jungen Markus hat Paulus tief verletzt. Noch nach Jahren fühlte er den Schmerz. Doch im Leben der Heiligen gibt es wohl zeitweilige Verstimmungen, aber sie behalten nicht die Oberhand, sie treten zurück hinter den großen Anliegen des Gottesreiches. So hat Markus später diesen jugendlichen Schwächeanfall überwunden und ist dem Apostel Paulus in seiner römischen Gefangenschaft ein wertvoller Mitarbeiter geworden.
– Holzner, Paulus, Kap. 14
Wie ein Feldherr, der vor einer entscheidenden Kampfhandlung seinen Generalstab um sich versammelt, beruft Paulus seine sämtlichen in Ephesus anwesenden Mitarbeiter und Mitkämpfer zur gemeinsamen Beratung: Timotheus und Titus, Tychikus und Trophimus aus Ephesus, Gajus und Aristarch aus Mazedonien, Sosthenes und Erastus aus Korinth, Gajus aus Derbe und Epaphras aus Kolossä. Es kennzeichnet die Art des großen Menschenlenkers, daß er seine Freunde an seinen Entscheidungen teilnehmen läßt, als wären sie von ihnen ausgegangen. Die Abfassung des Briefes dürfte um die Wende des Jahres 54/55 stattgefundern haben. Wir haben dafür einen äußern Anhaltspunkt. Paulus tadelt die Galater, daß sie sich den jüdischen Festkalender mit dem Sabbatjahr hätten aufschwätzen lassen. Nun wissen wir aus Josephus (Altert. 15, 1, 2), daß das Jahr 54 ein Sabbatjahr war. Paulus schrieb also wahrscheinlich zur Zeit dieses Sabbatjahres, das von den verführten Galatern nach jüdischer Weise gefeiert wurde.
Der Brief verstärkt den Eindruck von der leidenschaftlichen Persönlichkeit des Apostels. Er ist sozusagen in einem Zug, in Buchstaben von Feuer geschrieben. Im Grundgedanken, in der biblischen Begründung und Ausdrucksweise ist er gleichsam eine Skizze für den späteren Römerbrief, in Temperament und leidenschaftlicher Bewegtheit ein Vorläufer des zweiten Korintherbriefes. Manche Worte sind nur aus der heiligen Leidenschaft des Augenblicks zu erklären, so die Ausdrücke grenzenloser Überraschung und Bestürzung, der zweimalige Fluch über die Verkünder eines andern Evangeliums, die abgerissenen Sätze, die von einer gewaltigen Gefühlserregung zeugen. Zwei große Leitmotive bestimmen den Inhalt und Gedankengang, die sich gegenseitig bedingen und kreuzen: 1. das persönliche der Ursprünglichkeit und Echtheit seines Apostelamtes; 2. das sachliche seines Evangeliums von der Rechtfertigung aus dem Glauben.
– Holzner, Paulus, Kap. 41
Nero brauchte einen Schuldigen, auf den er den Verdacht der Brandstiftung ablenken konnte: irgendeine verrufene orientalische Sekte! Unter dem schützenden Dach der Synagoge hatte sich bisher das Christentum im römischen Reich ausbreiten können. Aber der Preis, den es dafür bezahlen mußte, war ungeheuer. Der ganze Haß des heidnischen Pöbels gegen die Juden entlud sich nun über ihrem Haupt. Bei dieser Orgie des Hasses fällt in der heidnischen Literatur zum erstenmal der gebenedeite Name „Christus“. Wie Christus am Kreuz als politischer Verbrecher zwischen zwei Verbrechern starb, so wurde jetzt und fortan die Kirche vom römischen Staat als politische Verbrecherin, von Tacitus und andern Schriftstellern als Ausbund alles Aberglaubens, aller Scheußlichkeiten und des Menschenhasses hingestellt. Ihre Zurückgezogenheit vom öffentlichen Leben war Tacitus Beweis genug für seine Behauptung.
Aber selbst der stolze Römer Tacitus spürt eine leise Regung von Mitleid mit den Christen, während der glatte Höfling Suetonius kein Gefühl der Menschlichkeit kennt, nicht einmal angesichts der unaussprechlich grausamen Szenen aus der griechischen Mythologie, welche die Christen zum Vergnügen der Römer aufzuführen gezwungen waren: Herkules in den Flammen, Ixion auf dem Rade zerfleischt, Orpheus von den Bären zerrissen, die Verstümmelung des Attis, die einem in der Maske eines wilden Stieres verkleideten Wüst- ling (vielleicht Nero selbst) preisgegebene Pasiphaë, Dirke, die, nackt auf einen Stier gebunden, über die Felsen des Helikon geschleift wurde, eine Szene, an die der sog. Farnesische Stier (im Museum zu Neapel) und pompejanische Wandmalereier erinnern. Auch Klemens von Rom erwähnt diese fürchterlichen Qualen und Schändungen (Cor. 1, 6). Seneca, der einst den Geist des jungen Nero mit jenen mythologischen Vorstellungen erfüllt und den ungesunden Hang des Knaben zu solch ausschweifenden Phantasien unfreiwillig genährt hatte, spielt später in der Verbannung seines Landhauses, wo er für die Halbheiten seines Lebens büßen sollte, auf diese schändlichen Szenen an: „Stahl und Flamme hat die Tyrannei zur Verfügung, Ketten und eine Schar von Bestien, um sie auf die Menschenleiber zu hetzen. Da treten dir Kerker, Kreuzesfolter, eiserne Haken vor die Seele und jener Pfahl, der, durch des Menschen Mitte getrieben, zum Munde heraustritt, Glieder, durch auseinanderrennende Wagen zerrissen und jene Tunica, mit brennbaren Stoffen durchwoben und bestrichen, und was sonst noch grausame Wut ersonnen hat“ (Ep. 14). Das sind Worte eines Augenzeugen über die Schandtaten seines mißratenen Zöglings auf dem Kaiserthron. Und merkwürdigerweise erscheint da vor dem Blick des kühlen Stoikers, der manche Gladiatoren hatte sterben sehen, wie eine Vision aus einer ihm fremden Welt das unerklärliche Lächeln eines demütigen Christen: ,,Mitten unter diesen Qualen – da war einer, der hat nicht gestöhnt; nein, der hat nicht um sein Leben gefleht; auch das ist noch zu wenig er hat gelächelt, ja, gelächelt fröhlichen Herzens“ (Ep. 78).
Unter den namenlosen Opfern der neronischen Verfolgung waren wohl die meisten jener Brüder, die Paulus im Römerbrief gegrüßt und die ihm einst bis zum Forum Appii entgegenkamen, aber auch jene, die nicht in reiner Absicht, sondern um seinen Banden Trübsal zu schaffen, Christus gepredigt hatten. Auch sie wurden,gerettet, aber wie durch Feuer hindurch“ (1 Kor. 3, 15). Die gemeinsame Gefahr und der gemeinsame Tod hatten alles Allzumenschliche in ihren Herzen getilgt. Nur von Aquila und Priscilla wissen wir, daß sie der Gefahr entronnen waren. Paulus läßt sie später in Ephesus grüßen (2 Tim. 4, 19). Das war der erste Glaubenssieg der römischen Kirche, durch den sie sich ihre Vorrangstellung unter allen Kirchen des Erdkreises verdient hat. So geschehen in den Augusttagen des Jahres 64, im Reiche des Tieres“, am sinkenden Abend der Welt!
—– Holzner, Paulus, Kap. 61