Josef Pieper: Über die Liebe. Kösel 2014

Das Buch ist genial. Schlichtes Begreifen der menschlichen Tiefe durch den Blick des deutschen katholischen Philosophen Pieper. Pieper hat eine ganze Reihe über die Tugenden verfasst, außerdem etliches andere, von dem sich einiges hier wiederfindet.

Über die Liebe beginnt mit ein wenig Etymologie, die mit Pieper zum Vergnügen wird:

Im englischen Liebesvokabular haben mich seit langem zwei andere Dinge fasziniert. – Das eine ist die Selbigkeit der Worte für »Mögen« [to like] einerseits und Gleichsein und Ähnlichsein [likeness] anderseits. […] Wir werden hier, kurz gesagt, in der Gewißheit bestätigt, daß Liebe nicht nur Einheit zur Frucht hat und schafft, sondern sie auch bereits voraussetzt.

– Pieper, Über die Liebe, Kösel 1972, S. 32 f.

Wie ist es zwischen Menschenliebe und Gottesliebe?

Menschliche Liebe also ist, ihrer Natur nach und unvermeidlich, immer schon ein Nachvollzug und eine Art Wiederholung dieser auf vollkommene Weise und im genauen Sinn des Wortes kreatorischen Liebe Gottes. Und vielleicht ist auch dies, vor aller Reflexion, dem Liebenden nicht unbekannt. Wie sonst, zum Beispiel, verstünde sich, was man vielleicht zu selten bedenkt, daß schon die allererste Liebesregung ein Element von Dank enthält? Dank aber ist Antwort, Erfahrung des Verwiesenseins auf etwas Vorausliegendes […] Aber: Wenn es mit rechten, glücklichen Dingen zugeht, dann geschieht, auch in der menschlichen Liebe, mehr als ein bloßes Wiederholen und Nachsprechen; es geschieht zugleich eine Fortsetzung und in bestimmtem Sinn sogar eine Vollendung des in der Erschaffung Begonnenen.

– Pieper, Über die Liebe, Kösel 1972, S. 48 f.

Es kommt die große Frage nach der wahrhaft aufrichtigen Liebe: muss sie völlig selbstlos, desinteressiert sein?

Es wäre in der Tat „eine dünkelhaft alberne Kreatur, die vor ihren Schöpfer träte mit der Wichtigtuerei: Ich komme nicht als Bettler; ich liebe dich selbstlos!“  […] Solche bedürfende Liebe aber, die auf die eigene Erfüllung zielt, ist auch in all unserem Lieben sonst der Kern und der Beginn. Sie ist einfach die elementare, im Akt der Erschaffung in Gang gesetzte Dynamik unseres Wesens selbst, die zu beherrschen oder gar außer Kraft zu setzen unsere Möglichkeiten prinzipiell übersteigt. Sie ist das »Ja«, das wir selber schon sind, bevor wir bewußt „Ja“ (oder auch „Nein“) zu sagen vermögen.

[…] den Eros definiert als den Inbegriff allen Verlangens nach Daseinsfülle, nach Stillung der Glückssehnsucht, nach Sättigung durch die Güter des Lebens, zu denen nicht nur mitmenschliche Nahe und Gemeinschaft gehört, sondern auch die Teilhabe am Leben Gottes selbst – dann ist Eros ein jedenfalls in seiner Wurzel naturhafter Impuls, der unmittelbar gegeben ist mit dem schöpfungshaften Wesen des endlichen Menschen, mit seiner Kreatürlichkeit.

– Pieper, Über die Liebe, Kösel 1972, S. 109-110

Und noch ein Wort aus dem reichen Schatz dieses Buchs zu Liebe und Schmerz:

Wie also steht es? Gilt nun beides nebeneinander: Liebe und Freude gehören zusammen, aber genau ebenso Liebe und Trauer auch – wie Thomas es in seiner sozusagen ungerührten Sachlichkeit sagt: ex amore procedit et gaudium et tristitia, „aus der Liebe erwächst Freude wie Traurigkeit“? Also ein schlichtes Sowohl-Als-auch? – Nein, so einfach liegt die Sache nicht. Erstens: Liebe ohne Schmerz und Trauer kann es durchaus geben, Liebe ohne Freude jedoch nicht. Zweitens aber und vor allem: Selbst der unglücklich Liebende ist glücklicher als der Nicht-Liebende, mit dem er niemals tauschen würde – nicht nur weil ihm, rein in dem Faktum des Liebens selbst, etwas Geliebtes zuteil geworden ist, sondern weil er sogar an dem Sichabwendenden, dem Undankbaren, dem auf Abwege Geratenen, an dem solchermaßen also mit Schmerzen Geliebten noch immer Anteil hat und behält; weil der Liebende mit ihm auf irgendeine Weise verbunden und eins bleibt; weil selbst die unglückliche Liebe das Prinzip der Geschiedenheit, auf dem „die ganze Philosophie der Hölle beruht“, dennoch durchbricht und so einen realen Grund zur Freude sich bewahrt, ein wenn auch nur winziges Stück „Paradies“.

– Pieper, Über die Liebe, Kösel 1972, S. 119