Wie das Grabtuch von Turin und der Schleier von Manopello wird das mexikanische Bild der Gottesmutter als eines der spektakulären, nicht von Menschenhand gemachten Bilder verehrt, als ein Acheiropoieton, wie es in den Ostkirchen heißt.
Paul Badde unternimmt im Guadalupe-Buch eine Forschungsreise, die zugleich eine Wallfahrt durch die Geschichte Marias ist. Indem er sich in das Tuch von Guadalupe vertieft, steigt er in die faszinierende Missionsgeschichte Lateinamerikas ein, deren wichtigste Etappe das Tuch bildet.
Der Autor ist ein Freund Bargil Pixners, der auf ad-fontes ebenfalls auftaucht.
Nun soll sein Buch selbst sprechen, zuerst mit dem alten Bericht über die Ereignisse in Guadalupe, den Badde selbst in Gänze wiedergibt (und den es hier im Volltext gibt) :
Kaum war Juan Diego im Haus des Bischofs, ließ er ihm ausrichten, dass er ihn zu sehen verlangte und forderte die Diener auf, ihm den Wunsch zu überbringen. Es dauerte lange, bis sie endlich zurückkamen, um ihm mitzuteilen, dass der Bischof nun angeordnet hatte, ihn eintreten zu lassen. So trat er ein, kniete gleich hinter der Schwelle nieder, neigte sein Haupt und enthüllte ihm die Worte und die Botschaft der Himmelskönigin. Er erzählte von allem, was ihn entzückt und was er gesehen und gehört hatte. Der Bischof lauschte der Erzählung mit ungläubigem Staunen. Danach erwiderte er ihm: „Mein Sohn, komm ein anderes Mal zurück. Dann werde ich dir in Ruhe zuhören. Ich werde noch einmal von Anfang an alle Gründe erwägen, die dich zu mir geführt haben, und deinen Willen und Wunsch überdenken.“
So ging er von dannen. Traurig, dass er seinen Auftrag nicht hatte ausführen können, kehrte er noch in der Abenddämmerung zum Gipfel der Anhöhe zurück. Doch welch ein Glück! An der Stelle, wo ihm die Königin des Himmels in der Morgendämmerung erschienen war, traf er sie auch jetzt wieder! Sie erwartete ihn schon. Als er sie sah, warf er sich vor ihr in den Staub und sagte: „Kleine Herrin, Señora, Königin, Kleinstes meiner Töchterlein, mein Allerkleinstes! Gerade so, wie du es verlangt hast, habe ich mich aufgemacht, um den Auftrag deines lieblichen Atems unverzüglich auszuführen. Es war schwierig. Dennoch bin ich in das Haus des Bischofs hineingekommen. Als ich ihn sah, habe ich ihm die Worte deines Atems so vorgetragen, wie du es mir befohlen hast. […]“
[…] Und er breitete seinen weißen Umhang aus, in den er die Blumen eingeschlagen hatte. Als die herrlichen Blumen jedoch zu Boden fielen, verwandelte sich der Umhang augenblicklich in ein Zeichen. Plötzlich erschien das geliebte Bild der immerwährenden Jungfrau und heiligen Maria auf dem Tuch, das Bildnis der Mutter des heiligen Gottes, in der Form und Gestalt, wie sie jetzt noch unter uns ist. Wie wir sie jetzt noch in ihrem geliebten Häuschen sehen, wo das Tuch in ihrem Heiligtum auf dem Tepeyac aufbewahrt wird, der jetzt Guadalupe genannt wird.
Als der Bischof und die anderen, die dort versammelt waren, das sahen, fielen sie vor Staunen auf die Knie. Dann standen sie wieder auf, um das Tuch zu betrachten, von Verwirrung und Verwunderung überwältigt. Ein Gefühl der Trauer erfasste sie. Unter Tränen bat der Bischof die Heilige Jungfrau um Vergebung, dass er ihrem Willen nicht gleich entsprochen und ihrem Wort nicht geglaubt habe. Und als er sich wieder aufrichtete, löste er den Umhang vom Nacken Juan Diegos, wo er die Tilma verknotet hatte, auf der die Himmelskönigin ihm zum Zeichen erschienen war.
– Paul Badde, Maria von Guadalupe, S. 30-43
Noch Aufsehen erregender als seine Fragen waren aber schließlich die Entdeckungen, die er selbst [José Aste Tönsmann] in den Augen machte. Nach entsprechenden Filterungen der Aufnahmen seien nicht nur ein oder zwei Figuren zu erkennen, die sich in den Augen spiegelten, stellte er in seiner Analyse fest, sondern eine ganze Personengruppe. In ihnen meinte er, einen sitzenden Indio zu erkennen, dazu Bischof Zumarraga und seinen Dolmetscher Gonzalez, dann Juan Diego mit offener Tilma, eine Frau, einen bärtigen Spanier, eine Indiogruppe mit Kind, kurz und gut, eine wahrheitsgetreue Spiegelung der Schlussszene des Nican Mopohua, wo es heißt: „Und er breitete seinen weißen Umhang aus in den er die Blumen eingeschlagen hatte. (…) Als der Bischof und alle, die dort waren, das sahen, fielen sie vor Staunen auf die Knie. Sie standen wieder auf, um das Tuch zu betrachten. „Die Entstehung dieser Bilder müsse man sich also vorstellen, folgerte er, als hätten die Augen der Jungfrau die Enthüllungsszene im Augenblick des größten Erstaunens abgespeichert. Jede Person sei in einer anderen Haltung und Stellung festgehalten. Da gebe es einen halb nackten Azteken, mit gekreuzten Beinen, langem schwarzem Haar und Pferdeschwanz, mit einem deutlich sichtbaren Ohrring und einem Ring am Finger. Neben ihm stehe ein alter Mann mit Glatze und weißem Bart, gerader Nase und buschigen Augenbrauen, dem eine Träne die rechte Wange hinunterläuft (der einem Gemälde Bischof Zumárragas gleiche). Neben ihm ein junger Mann, dann, im Profil, ein Alter mit Kapuze, Bart und Schnurrbart, römischer Nase, hervorstehenden Backenknochen, eingesunkenen Augen und halb geschlossenen Lippen, der dem glatzköpfigen Mann eine Art Schal hinhält. Ein junges schwarzes Mädchen sei auch noch zugegen, ferner – etwas abseits, im Hintergrund – eine Gruppe, vielleicht eine indianische Familie, der Vater mit einem Hut, eine junge Frau mit einem Baby auf dem Rücken, Großeltern, drei Kinder. Insgesamt seien dreizehn Personen in den Augen festgehalten.
– Paul Badde, Maria von Guadalupe, S. 48-49
Acht Konquistadoren aus der engeren Gefolgschaft des Hernando Cortez wurden Geistliche, Franziskaner, Dominikaner oder Einsiedler. Keiner hat sich so leidenschaftlich und kühn für die Rechte und den Schutz der Azteken eingesetzt wie die Bettelorden, unter denen Las Casas der berühmteste Prediger und Anwalt der Azteken geworden ist, der in Spanien bis zu Kaiser Karl V. mit seiner Anklage der verheerenden Missstände vordrang. Keiner hat sich auch so in die Kultur der Azteken vertieft. Und so war es auch umgekehrt. Bald sangen Azteken gregorianische Chorale, komponierten Messen und Hymnen. Die Noten lernten sie ebenso leicht wie den Katechismus und die Bibel, die aus der Geschichte Israels im fernen Palästina zu ihnen kam. Bald schon bauten die Azteken selbst im ganzen Land zahllose Kirchen, Klöster und Schulen, eine Kirche schöner als die andere, die sich zum Teil bis heute erhalten haben. Die kaiserliche Akademie von Tlatelolco, das Colegio de Indios de Santiago, brachte kurz nach den Erscheinungen der Jungfrau Maria aus der eingeborenen Bevölkerung Intellektuelle hervor, die es mit allen Europäern aufnehmen konnten. Das geschliffene Latein dieser Azteken rief selbst in Spanien Staunen hervor, von ihrem makellosen singenden Spanisch ganz zu schweigen. Von Antonio Valeriano nimmt man ja an, dass er ein Neffe des Kaisers Montezuma gewesen sei. Vom Urenkel Montezumas ist aus dem Jahr 1587 ein Brief an seine kaiserlichen Verwandten überliefert, wo er den ‚lieben Frauen‘ am Schluss wünscht, dass ’sich der Heilige Geist in ihren Herzen niederlassen möge‘.
– Paul Badde, Maria von Guadalupe, S. 147
Mehr als jedes Weltwunder hatte ich in den Tagen zuvor jedoch das Bild Marias Tag für Tag für viele Stunden angeschaut, von fern, von nah, mit bloßem Auge, mit dem Fernglas. Jeden Tag war sie mir anders begegnet. Jeden Tag sah ich Tränen um mich herum wie in keiner anderen Kirche. Vielleicht verändern sich ja die Farben auch nach der Anzahl der Tränen aus jedem Winkel und an jedem Tag, und nach dem Kummer und Leid, die täglich vor sie hingetragen werden. Je nach Entfernung sahen die Farben anders aus. Aus einem bestimmten Blickwinkel wurde das Gold zu Silber, aus einem anderen schwarz. Aus der Entfernung hatte man den Eindruck, als habe sie die Augen geschlossen, so wie sie ihren Blick senkt; aus der Nähe von unten war es, als schaue man in den Falten ihres Gewandes hinauf in einen gotischen Raum, doch lebendig, atmend, von vollkommener Größe und vollkommenem Ebenmaß. Das Bild leuchtet. Ein überirdisches Schimmern umgibt die Jungfrau wie Samt und Seide. Die goldenen Blumen sind ihrem Untergewand nicht aufgewebt, sondern umschweben den Körper zwischen Mantel und Gewand auf einer Art Gaze, einem ganz und gar unsichtbaren Schleier, unabhängig vom Faltenwurf ihres Untergewands.
– Paul Badde, Maria von Guadalupe, S. 227