Peter Seewald ist Ratzinger-Experte. Von ihm stammt insbesondere der berühmte Interviewband Salz der Erde mit dem heiligen Vater. Die große Biografie liefert einen neuen Maßstab auch an Buchlänge, das sei nicht verschwiegen: man bekommt mehr als tausend Seiten geliefert und kann viele ratzingerianische Stunden verbringen.
Zitate von ihm gibt es in großer Breite und voller Schönheit, wie hier, aus der Konzilszeit:
Pastoral das sollte nicht heißen: verschwommen, substanzlos, bloß erbaulich, wie es da und dort missverstanden wurde. Sondern es sollte heißen: in der positiven Sorge um den heutigen Menschen formuliert, dem mit Verurteilungen nicht geholfen ist, der lange genug gehört hat, was alles falsch ist und was alles er nicht darf, der daher endlich hören will… mit welcher positiven Botschaft der Glaube unserer Zeit gegenübertreten kann, was er positiv ihr zu lehren und zu sagen hat.
Und „ökumenisch“ sollte nicht heißen: Verschweigen von Wahrheiten, um die anderen nicht zu verstimmen. Was wahr ist, muss offen gesagt werden, ohne Verbergen; die volle Wahrheit ist ein Teil der vollen Liebe. „Ökumenisch“ sollte vielmehr heißen: dass man aufhört, die anderen bloß als Gegner zu sehen, gegen die man sich verteidigt…, dass man versucht, sie als Brüder zu erkennen, mit denen man spricht und von denen es auch zu lernen gibt.
Die Jugendzeit ist einfach herrlich, eine untergegangene Zeit in Deutschland, in die der Leser mit Ratzinger wieder eintaucht:
Das Wintersemester in Freising dauerte vier, das Sommersemester drei Monate. Die vorlesungsfreie Zeit verbringen Joseph zu Hause in Hufschlag. Gemeinsam mit Studienkollege Rupert Berger feiern sie täglich um 8 Uhr die Messe in St. Oswald. Zelebrant ist Geistlicher Rat Georg Elst, den seine Ministranten nur Sommersemester und Georg „Raketen-Schorsch“ nennen, weil er die heiligen Messen im Rekordtempo über die Bühne bringt. Bei der Kommunionausteilung vernehmen die Messbesucher statt des feierlichen „Corpus Domini nostri Jesu Christi custodiat animam tuam in vitam aeternam“ dann meist nur ein „Corps tam tam, Corps tam, tam…“ Als musikalische Begleitung gibt Rupert Berger den Tenor, Georg den Bass oder die Orgel, während Joseph ministriert. Dafür erhalten die Studenten vom Stadtpfarrer die für Freising erforderliche Bestätigung, dass sie in den Semesterferien eifrig die Messe besuchten und keine Mädchenfreundschaften unterhielten. Mit im Kirchenchor singt häufig auch Ratzinger senior, der überdies jeden Donnerstag im 7-Uhr-Amt in einer kleinen Prozession innerhalb des Kirchenschiffes einen Baldachin schleppt, wobei »Raketen-Schorsch meist hektisch mit seiner Monstranz vorauseilt, sodass die vier „Himmelsträger“ erhebliche Mühe haben, mit ihrem auf Stangen aufgespannten „Himmel“ hinterherzukommen.
Seewald: Benedikt XVI., S. 192