„Segne du, Maria, segne mich, dein Kind“ – dieses beliebte Marienlied aus dem 19. Jahrhundert, verfasst von der religiösen Dichterin Cordula Wöhler, ist vielen Menschen ein Begriff, doch kennen nur wenige die dramatische Geschichte, die sich hinter der Entstehung dieses Liedes verbirgt. Cordula, Tochter eines evangelischen Pfarrers, entdeckt als Jugendliche den Katholizismus: Ihr erster Zugang ist die literarische Welt des katholischen Romans, dann folgt eine zunächst zögerliche, sich stetig intensivierende Marienfrömmigkeit, darauf die briefliche Korrespondenz mit einem Geistlichen – und das Familiendrama nimmt seinen Lauf. Was man zuerst als jugendliche Flausen tolerierte, war schließlich in dem protestantischen Pfarrhaus nicht mehr hinzunehmen und die Familie reagierte mit allen Mitteln auf die älteste Tochter, die das für sie Unbegreifliche tat: Sich zum Katholizismus zu bekennen. Cordula sah sich einem hohen psychischen Druck seitens der von ihr sehr geliebten Eltern und weiteren Freunden und Bekannten ausgesetzt, doch sie setzte auch unter den Bedingungen von großem persönlichem Leid den Weg in die katholische Kirche fort, den sie, einmal eingeschlagen, nicht mehr verlassen konnte und wollte. Ihre Tagebücher sowie ihre religiöse Dichtung zeugen von ihren Erfahrungen in dieser Zeit, vor allem aber auch von einer großen Freude, die als machtvolles Zeugnis für sich selbst steht. Der Autor dieser Biographie, Wieland Vogel, hat all dies auf sehr lesenswerte Weise zusammengetragen. Hier ein Einblick in sein Werk und Cordulas Empfindungswelt:
„‚Wenn der Protestant katholisch wird‘, so resümiert sie in ihrem Tagebuch, ‚braucht er nichts aufzugeben und von nichts sich loszureißen, was heilig und himmlisch ist; das edle Silber und Gold, das er als Protestant in seiner Taufe, im Glauben an den dreieinigen Gott, in der Liebe Gottes und Jesu Christi, in der Hoffnung und Sehnsucht nach dem Himmel hat, das alles behält er, und dazu bekommt er im katholischen Glauben noch viele der herrlichsten Edelsteine und die eine kostbare und unvergleichlich einzige Gnadenperle der Eucharistie“‘ (zitiert nach Wieland Vogel, Doch meine Seele habt ihr nicht, S. 128).
„Cordula hatte die Überzeugung gewonnen, dass der Protestant, der zur katholischen Kirche übertritt, nichts von seinem bisherigen Glauben aufgeben muss. Es galt, sich einer größeren Glaubenswirklichkeit zu öffnen, sich dem ganzen Reichtum göttlicher Gnadenzusage anzuvertrauen. Es war das den Glaubensumfang protestantischer Gläubigkeit übersteigende Mehr […]. Auf ihrer Suche nach der verlorenen Tradition entdeckte und vertraute sich Cordula vorrangig drei katholischen Eigenheiten an, Zugängen einer größeren, in den Glaubensprüfungen der Jahrhunderte geläuterten Wahrheitsfindung: der bereits oben angesprochenen Hingabe an den eucharistischen Herrn, der Heiligenverehrung und hier besonders der Marienverehrung. […] Zu einer bedingungslosen katholischen Marienverehrung fühlte sie sich anfänglich noch nicht fähig, obwohl sie lange zuvor, ehe sie daran dachte, katholisch zu werden, damit begonnen hatte, Maria zu lieben und ihr heimlich zu huldigen. Zu groß war die Hemmung, die Scheu verbotenes Terrain zu betreten. Sie konnte aber auch nicht der Anziehungskraft der ihr bildhaft vermittelten Passionsszene widerstehen. Immer wieder besuchte sie ihr heimliches Versteck und überließ sich einem Prozess der Annäherung, der aus heutiger Sicht ein ökumenisches Lehrstück für das Verständnis katholischer und orthodoxer Marienverehrung impliziert. […] Mit der Übereignung an Maria als ihre himmlische Mutter vollzog sich an Cordula der Eintritt in die katholische Kirche. Es war die dem kanonischen Eintrittsakt vorausgehende marianische Konversion.“ (Wieland Vogel, Doch meine Seele habt ihr nicht, S. 293-195)
Vor dem Hintergrund des langen und ereignisreichen Weges, den die Konversion für sie mit Blick auf ihre familiäre Situation darstellte, konnte Cordula schließlich jubeln:
„Ich bin katholisch!
Katholisch bin ich! Aller Welt
möcht‘ ich mein Glück verkünden,
möcht’s jubeln hoch zum Himmelszelt,
tief zu des Meeres Gründen!
Katholisch! O du schönes Wort
Auf weitem Erdenrunde,
du höchster Heils- und Gnadenhort,
wie süß du meinem Munde!“ (Wieland Vogel, Doch meine Seele habt ihr nicht, S. 245)