Joseph Malègue: Augustin. Benziger 1956

Ein Klassiker, allerdings ein niegelesener. Um die Übersetzung zu erwerben, muss man sich spitzfindig auf die antiquarische Suche machen, wird dann allerdings mit einer perfekten Arbeit belohnt.

Jenseits des psychologischen Auf und Ab der Hauptperson, Augustin Meridier, steht der intellektuelle Unterbau des französischen Katholizismus im Licht, sein Modernismus, auch seine Mittelmäßigkeit.

Die Fräulein Savouré, deren kleines Pensionat bisher dahinvegetiert hatte, erlebten nun, wie auf einmal, wenigstens solange, bis das Mädchenlycée gebaut und eröffnet war, die ganze Kundschaft der Ursulinerinnen bei ihnen Zuflucht suchte. Soeben hatte Christine unter der Leitung des jüngeren Fräulein Savouré ihr erstes Diplom dort erworben, als diese Damen beschlossen, wenn nicht die ganze Vorbereitung in Literatur für das zweite Diplom, so doch wenigstens ein paar Stunden einem Professor des Lycée anzuvertrauen. «Man» hatte ihnen «zu verstehen» gegeben, daß «diese Herren eine solche Maßnahme namentlich im Hinblick auf die zukünftigen Examina mit wohlwollendem Auge betrachten würden.» Es lag nahe, daß sie Herrn Méridier, der als «religiös» galt, um diese Unterrichtsstunden angingen, da seine große Tochter bereits bei ihnen Schülerin war und ihr später seine beiden jüngeren Töchter folgen sollten. Das ältere Fräulein Savouré setzte Herrn Méridier alles Nähere mit ihren ungewöhnlich schmalen Lippen auseinander, die noch hübsch waren, ganz blaß rosa, und über die von Zeit zu Zeit ihre flache, belehrende Zunge fuhr… Diese Lippen hatten sich darauf eingestellt, bündige moralische Maximen von sich zu geben, diese mit diktierten Erläuterungen und formalistischen Sätzen zu versehen, und weigerten sich beinahe, sich außer für einen solchen Zweck zu öffnen. Augustin, der beide mit seinem Vater empfing, spürte ein Ameisenkribbeln in seinen Fingern.

Malègue: Augustin, 363

Der Domherr reichte der Kranken die Kommunion. Christine war bereits niedergekniet, Augustin warf sich ebenfalls, etwas verspätet, nieder. Christine erhob sich plötzlich ganz leise, ohne daß er begriff warum, aber nachher sah er, wie sie eines der vorbereiteten Wassergläser an die Lippen der Mutter führte, während ihr anderer Arm sich um das Kissen legte, auf dem der Kopf ruhte. Durch das Eßzimmer hindurch hörte man das Geräusch vom Niedersetzen der Wasserkrüge auf dem Steinboden, das Klappern der Holzschuhe, alles Klänge, die von der dicken Marie herrührten und anzeigten, daß es acht Uhr morgens sei. Augustin zog einen Stuhl her- an und stützte sich auf die Lehne. Ein Schwindelgefühl befiel ihn, er besann sich, daß er noch nichts gegessen hatte. Christine war wieder auf die Knie gefallen, hielt aber den Oberkörper steif aufgerichtet. Sie führte mit dem Priester ein Zwiegespräch auf Lateinisch. Es handelte sich um die Macht des Teufels und die Auflegung der Hände. Die Formeln ordneten mit großer Schlichtheit die Fehler nach ihrer Ursprungsgegend, als ob es sich dabei um Weine und Lebensmittel handle. Der Redefluß wurde jeweils unterbrochen, wenn der Domherr die vorbereiteten Watteflocken ergriff, oder Christine sanfte, langsame Handlungen zufielen wie das Aufdecken der Füße durch Zurückschlagen der Laken. Der stimmliche Aufwand verstärkte sich wieder, als der Daumen die kleinen Kreuze mit dem Öl zog. Augustin entsann sich nicht, ob es sechs oder sieben gewesen waren. In der ebenfalls sechs- oder siebenmal wiederholten Formel kehrte das gleiche Wort <und seine allerfrömmste» mit der Monotonie eines Arbeiterliedes wieder. Welch großer Zuspruch, daß die Seele derart von der Entkräftung und Gebrechlichkeit, die von ihren Fehlern herrührt, geheilt wird, und daß die gewaltige Vaterschaft Gottes durch das Mittel dieser kleinen Öl- kreuze wirkt! Alle diese Dinge waren von einer solchen Schlichtheit!

Malègue, Augustin, 877-878

Französischer Originaltitel: Joseph Malègue: Augustin ou Le Maître est là. Cerf 2014