Nicholas Kardinal Wiseman: Fabiola oder die Kirche der Katakomben. Nationale Verlagsanstalt 1896

Es gab Zeiten, als Kardinäle in ihren Mußestunden historische Romane verfassten. Einer davon war der britische Kardinal Nicholas Wiseman (1802-1865), der mit Fabiola oder die Kirche der Katakomben eine Art Quo-Vadis-Vorläufer geschaffen hat, nur frömmer. (Der andere war übrigens Kardinal John Henry Newman, dessen Roman Callista leider nicht auf Deutsch erhältlich ist.) Die Verfolgung der frühen Christen unter Kaiser Diokletian zu Beginn des 4. Jahrhunderts bildet den Rahmen der Handlung von Fabiola, eine ganze Reihe von frühchristlichen Heiligen treten als Haupt- und Nebencharaktere auf, wie die heilige Agnes, der heilige Sebastian, die heilige Cäcilia, der heilige Pankratius und der heilige Tarcisius.

Als Grundlage dienten dem Verfasser die Akten der ersten Märtyerer sowie die Offizien vieler der auftretenden Heiligen, wobei es ihm weniger um historische Korrektheit ging, als darum, den Glaubenseifer und die Tugendhaftigkeit der frühen Christen unter den Bedingungen und im Kontrast zu einer ihnen und ihrem Glauben feindlich gesinnten Umwelt darzustellen, wie er in seiner Vorrede zum Roman beschreibt.

Das ganze Buch ist online unter Projekt Gutenberg abrufbar.

Hier eine Szene, in der die Hauptfigur Fabiola, die sich von der philosophisch interessierten, aber dem Christentum gegenüber kritisch-distanziert- überheblich gegenüberstehenden stolzen Römerin zur Christin wandelt, von ihrer Sklavin Syra erstmals mit dem Glauben an den christlichen monotheistischen Gott konfrontiert wird:

„Ich verstehe dich,“ sagte Fabiola nach einer Pause, sich etwas gedemütigt fühlend; „aber eine Schwierigkeit bleibt übrig. Es giebt, wie Du behauptest, eine Verantwortlichkeit sowohl für den inneren, als für den äußeren Akt. Gegen wen? Wenn die äußere That erfolgt, dann tritt eine Verantwortlichkeit ein gegen die Gesellschaft, die Gesetze, die Grundsätze der Gerechtigkeit, gegen sich selbst; denn schmerzliche Folgen können daraus entstehen; allein wenn nur die innere Thätigkeit in Betracht kommt, wem kann man da verantwortlich sein? Wer sieht es? Wer vermag darüber zu urteilen?“

„Gott,“ antwortete Syra mit tiefem Ernste. Fabiola sah sich getäuscht, sie hatte irgend eine neue, überraschende Theorie erwartet. Statt dessen erhielt sie eine Antwort, welche sie in das Bereich des bloßen Aberglaubens verwies, obowhl vielleicht jetzt nicht so sehr als früher. […] „Nein, ich spreche nicht von Göttern und Göttinnen, sondern von einem einzigen Gott.“

„Und wie heißest Du Ihn in deinem Systeme, Syra?“

„Er hat keinen Namen, als Gott, und diesen haben die Menschen Ihm nur gegeben, damit sie von Ihm sprechen können. Der Name umschreibt nicht seine Natur, seinen Ursprung, seine Eigenschaften.“

„Und welcher Art sind diese?“ fragte die Herrin mit erwachter Neugierde.

„Einfach wie das Ich ist Er seinem Wesen nach, einer und derselbe überall, unteilbar, allumfassend, allgegenwärtig und unbegrenzt. Er war da vor allem Anfang und wird sein, nachdem alles ein Ende hat. Macht, Weisheit, Güte, Liebe, Gerechtigkeit und ein unfehlbares Urteil gehören Ihm nach seiner Natur, und diese Eigenschaften sind ebenso unbegrenzt, als Er, Er allein kann erschaffen, Er allein erhalten und Er allein zerstören.“ […]

„Aber, Syra, kannst Du glauben, daß ein Wesen, wie Du es beschrieben hast, weit erhaben über alle Begriffe der alten Fabeln, sich damit beschäftigen kann, beständig die Handlungen oder gar die armseligen Gedanken von Millionen von Menschen zu überwachen?“

„Es ist keine Beschäftigung, es ist nicht einmal eine Wahl. Ich nannte Ihn Licht. Ist es für die Sonne ein Geschäft oder eine Mühe, ihre Strahlen durch den Krystall jener Quelle bis zu den Kieselsteinen auf dem Grunde hinabzusenden? Seht, wie sie von selbst nicht nur das Schöne enthüllen, sondern auch das Häßliche […]. Hat die Sonne bei alledem eine Mühe oder ein Geschäft? Weit mehr würde es so scheinen, wenn sie ihre Strahlen an der Oberfläche des durchsichtigen Elements zurückhalten müßte, um es nicht zu beleuchten. Und was sie hier thut, das thut sie in dem nächsten Strome und in dem, welcher tausend Meilen weit entfernt ist, mit gleicher Leichtigkeit; und wenn es noch so viele Ströme und noch so viele Wassermassen gäbe, so würde es ihr doch nicht an Strahlen oder Licht fehlen, sie alle zu bescheinen.“

„Deine Theorien sind immer schön, Syra, und wenn sie wahr sind, so sind sie höchst wundervoll,“ bemerkte Fabiola nach einer Pause, während welcher ihre Zunge nachdenklich auf die Quelle gerichtet waren, wie wenn sie die Worte Syras erproben wollte.

Nicholas Kardinal Wiseman: Fabiola oder die Kirche der Katakomben, 1896, S. 117-119.