Teresa von Avila: Die innere Burg. Diogenes 2006

Oh Meisterin des Karmel! Das Christentum ist ein Fortschreiten, Christus ist der Weg, auf dem wir gehen. Und es ist eben auch eine Burg: zumindest beschreibt Teresa so die menschliche Seele. Von Tor zu Tor schreitet man in sich selbst hinein, um dort Gott zu finden, im Innern, dort wo sich der Herr dem Menschen vermählt.

Als ich heute unseren Herrn anflehte, er möge durch mich reden – weil mir nicht so richtig einfiel, was ich sagen, noch wie ich mit der Erfüllung dieses Gehorsamsauftrags beginnen sollte –, bot sich mir an, was ich jetzt sagen will, sozusagen als eine Art Ausgangspunkt, nämlich unsere Seele als eine gänzlich aus einem einzigen Diamanten oder sehr klaren Kristall bestehende Burg zu betrachten, in der es viele Gemächer gibt,
so wie es im Himmel viele Wohnungen gibt (Joh 14,2). Denn wenn wir es recht bedenken, Schwestern, so ist die Seele des
Gerechten nichts anderes als ein Paradies, in dem er, wie er selbst sagt, seine Freuden erlebt (Spr 8,31). Nun also, wie meint
ihr wohl, wie das Gemach aussehen soll, in dem ein so mächtiger, weiser, reiner und an allen Gütern reicher König sich
vergnügt? Ich finde nichts, womit ich die gewaltige Schönheit einer Seele und ihre riesige Fassungskraft vergleichen könnte.

Theresa von Avila: Die Wohnungen der Inneren Burg, 1

Im innersten, wenn der Mensch den Weg durch die Vorburg bis in sich selbst hinein gefunden hat, begegnet er dem Herrn, der ihn ganz erfüllt.

Und es ist nur recht, dass es so ist, denn inmitten dieser Seele gibt es einen
Wohnort für Gott. Nun also, sobald es Seiner Majestät gefällt, ihr die besagte Gnade der geistlichen Vermählung zu gewähren, versetzt er sie zuerst in seine Wohnung. Dabei will Seine Majestät, dass es nicht so sei wie bei den anderen Malen, als er
sie in jene Verzückungen versetzte, wo ich schon glaube, dass er sie mit sich eint, und genauso im bereits erwähnten Gebet der Gotteinung, auch wenn der Seele nicht vorkommt, als sei sie so sehr berufen, in ihre Mitte einzutreten, wie es hier in dieser
Wohnung der Fall ist, sondern nur in den oberen Teil. Das tut wenig zur Sache, ob so oder so, der Herr verbindet sie mit sich, macht sie dabei allerdings blind und stumm, wie es der heilige Paulus bei seiner Bekehrung wurde, und nimmt ihr das Gefühl dafür, wie oder von welcher Art die Gnade ist, die sie genießt. Denn die große Beseligung, die die Seele dabei verspürt, besteht darin, sich in Gottes Nähe zu erleben. Doch wenn er sie mit sich verbindet, versteht sie nichts mehr, da alle Seelenvermögen aussetzen.

Theresa von Avila: Die Wohnungen der Inneren Burg, 7. Wohnung, 5

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