Sigrid Undset: Olav Audunssohn. Bertelsmann Lesering 1960

Das Leben ist ein Drama, das Leben nach Sigrid Undset oft genug eine Tragödie. So geht es in Olav Audunssohn dramatisch zu. Doch in den Wirren des Lebens blitzt die Erkenntnis hindurch, die Gottes Gnade schenkt.

Olav lag den größten Teil der Nacht wach da. Ihm schien es, als begreife er nun eines: Es herrschte ein Kampf im Allheim zwischen Gott und seinem Feind vom Tagesgrauen der Zeiten an, und alles, was Leben, Seele oder Geist besaß, kämpfte mit bei dem einen oder dem anderen Heer, ob sie es nun wußten oder nicht – Engel und Unterirdische, Menschen hier auf Erden und jenseits des Todes. Und meist geschah es durch die Furcht eines Mannes, daß es dem Teufel gelang, ihn auf seine Seite zu locken – weil ein Mann fürchtete, Gott könnte zuviel von ihm verlangen – könnte fordern, eine Wahrheit auszusprechen, die er nur schwer über die Lippen brächte, oder einer geliebten Lust zu entsagen, ohne die zu leben er sich nicht stark genug glaubte: Gewinn und Wohlfahrt, Freude oder Ansehen unter den Mitmenschen. Da kam der alte Vater der Lüge und fing die Seele eines Mannes mit seiner alten Hauptlüge ein – daß er von den Seinen weniger verlange und sie besser belohne – solange es währte. Jetzt aber mußte Olav selber wählen, ob er in dem einen oder in dem anderen Heer dienen wollte.

– Sigird Undset: Olav Audunssohn, Cassirer, 347

Sie wollte nicht aufblicken, und sie wollte nicht vorwärtsblicken, und sie begriff, es war gerecht, daß sie verdammt wurde – denn sie wollte nichts von dem annehmen, was notwendig war, um ihre Seele zu retten. Reue, Gebete, arbeiten und weiter vorwärts wandern, jene Menschen sehen und mit ihnen sprechen, mit denen sie zusammensein mußte, wenn sie versuchen wollte weiterzuleben – der Gedanke an all dies widerstrebte ihr. Selbst der Gedanke an Gott widerstrebte ihr jetzt. Hinunterblicken, allein sein und Dunkelheit rings um sich haben – das wollte sie. Und sie sah ihre eigene Seele, nackt und dunkel wie der Berg, den das Feuer verheert hat, und sie selbst hatte es angezündet und hatte alles verbrennen lassen, was in ihr an Nahrung für das Feuer gelebt hatte. Es war zu Ende mit ihr-.
Dennoch sprach sie noch ein Paternoster für Olav – füge es so, daß er mich vergißt. Und ein Ave-Maria für Eirik – nun hat er keine Mutter mehr an mir -.

– Sigird Undset: Olav Audunssohn, Cassirer, 310

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