Dietrich Bonhoeffer: Widerstand und Ergebung. Gütersloher Verlagshaus 2005

Der Lutheraner Bonhoeffer ist einer der klassischen christlichen Autoren in Deutschland und hat sich Generationen insbesondere durch das Lied „Von guten Mächten“ eingeprägt. Die Sammlung seiner Gefängnis-Schriften „Widerstand und Ergebung“ zeigt ihn von seiner persönlichsten Seite und ist zugleich ein Werk tiefer unverstellter Spiritualität und theologischer Suche.

Eine weitere Sammlung der Briefe an seine Verlobte ist unter dem Titel “Brautbriefe Zelle 92“ herausgegeben worden.

„Widerstand und Ergebung“ ist gespickt mit Perlen an Weisheit, die am besten im Zitat selbst glänzen.

Zunächst sein großes Wort über die Deutschen:

Wir Deutschen haben in einer langen Geschichte die Notwendigkeit und die Kraft des Gehorsams lernen müssen. In der Unterordnung aller persönlichen Wünsche und Gedanken unter den uns gewordenen Auftrag sahen wir Sinn und Größe unseres Lebens. Unsere Blicke waren nach oben gerichtet, nicht in sklavischer Furcht, sondern im freien Vertrauen, das im Auftrag einen Beruf und im Beruf eine Berufung sah. Es ist ein Stück berechtigten Mißtrauens gegen das eigene Herz, aus dem die Bereitwilligkeit entsteht, lieber dem Befehl von »oben« als dem eigenen Gutdünken zu folgen. Wer wollte dem Deutschen bestreiten, daß er im Gehorsam, im Auftrag, im Beruf immer wieder das Äußerste an Tapferkeit und Lebenseinsatz vollbracht hat? Seine Freiheit aber wahrte der Deutsche darin und wo ist in der Welt leidenschaftlicher von der Freiheit gesprochen worden als in Deutschland von Luther bis zur Philosophie des Idealismus?-, daß er sich vom Eigenwillen zu befreien suchte im Dienst am Ganzen. Beruf und Freiheit galten ihm als zwei Seiten derselben Sache. Aber er hatte damit die Welt verkannt; er hatte nicht damit gerechnet, daß seine Bereitschaft zur Unterordnung, zum Lebenseinsatz für den Auftrag mißbraucht werden könnte zum Bösen. Geschah dies, wurde die Ausübung des Berufes selbst fragwürdig, dann mußten alle sittlichen Grundbegriffe des Deutschen ins Wanken geraten. Es mußte sich herausstellen, daß eine entscheidende Grunderkenntnis dem Deutschen noch fehlte: die von der Notwendigkeit der freien, verantwortlichen Tat auch gegen Beruf und Auftrag. An ihre Stelle trat einerseits verantwortungslose Skrupellosigkeit, andererseits selbstquälerische Skrupelhaftigkeit, die nie zur Tat führte. Civilcourage aber kann nur aus der freien Verantwortlichkeit des freien Mannes erwachsen. Die Deutschen fangen erst heute an zu entdecken, was freie Verantwortung heißt. Sie beruht auf einem Gott, der das freie Glaubenswagnis verantwortlicher Tat fordert und der dem, der darüber zum Sünder wird, Vergebung und Trost zuspricht.

– Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Siebenstern 1974, S. 12-13

… so sagt der Vers: » … daß nicht vergessen werde, was man so gern vergißt, daß diese arme Erde nicht unsre Heimat ist« wohl etwas Wesentliches, aber doch nur etwas Allerletztes. Ich glaube, wir sollen Gott in unserem Leben und in dem, was er uns an Gutem gibt, so lieben und solches Vertrauen zu ihm fassen, daß wir, wenn die Zeit kommt und da ist – aber wirklich erst dann!- auch mit Liebe, Vertrauen und Freude zu ihm gehen. Aber – um es deutlich zu sagen – daß ein Mensch in den Armen seiner Frau sich nach dem Jenseits sehnen soll, das ist, milde gesagt, eine Geschmacklosigkeit und jedenfalls nicht Gottes Wille. Man soll Gott in dem finden und lieben, was er uns gerade gibt; wenn es Gott gefällt, uns ein überwältigendes irdisd1es Glück genießen zu lassen, dann soll man nirot frömmer sein als Gott und dieses Glück durch übermütige Gedanken und Herausforderungen und durch eine wildgewordene religiöse Phantasie, die an dem, was Gott gibt, nie genug haben kann, wurmstichig werden lassen. Gott wird es dem, der ihn in seinem irdischen Glück findet und ihm dankt, schon nicht an Stunden fehlen lassen, in denen er daran erinnert wird, daß das Irdische nur etwas Vorläufiges ist und daß es gut ist, sein Herz an die Ewigkeit zu gewöhnen …

– Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Siebenstern 19748, S. 93 f.

ich möchte von Gott nicht an den Grenzen, sondern in der Mitte, nicht in den Schwächen, sondern in der Kraft, nicht also bei Tod und Schuld, sondern im Leben und im Guten des Menschen sprechen. […] So ist es alttestamentlich und in diesem Sinne lesen wir das Neue Testament noch viel zu wenig vom Alten her.

– Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Siebenstern 1974, S. 135

Ich glaube, daß Gott besser geehrt wird, wenn wir das Leben, das er uns gegeben hat, in allen seinen Werten erkennen und ausschöpfen und lieben und darum auch den Schmerz über beeinträchtigte oder verlorene Lebenswerte stark und aufrichtig empfinden – man beschimpft das ja gern als die Schwäche und Empfindsamkeit der bürgerlichen Existenz- als wenn man gegen die Werte des Lebens stumpf ist und daher auch gegen den Schmerz stumpf sein kann. Hiob‘s Wort: »Der Herr hat‘s gegeben usw … « (cap. 1, 21) schließt das eher ein als aus, wie ja auch aus seinen zähneknirschenden Reden und ihrer göttlichen Rechtfertigung (cap. 42, 7 ff) gegenüber der falschen, vorzeitigen frommen Ergebung seiner Freunde deutlich genug hervorgeht.

– Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Siebenstern 19748, S. 102

Je länger wir aus unserem eigentlichen beruflichen und persönlichen Lebensbereich herausgerissen sind, desto mehr empfinden wir, daß unser Leben – im Unterschied zu dem unserer Eltern – fragmentarischen Charakter hat. […] Wenn mit dem Ende des 18. Jahrhunderts der »Universalgelehrte« zu Ende geht und im 19. Jahrhundert an die Stelle der extensiven Bildung die intensive tritt, wenn schließlich aus ihr sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts der »Spezialist« entwickelt, so ist heute eigentlich jeder nur noch »Techniker« – selbst in der Kunst (in der Musik von gutem Format, in Malerei und Dichtung nur von höchst mäßigem!). Unsere geistige Existenz aber bleibt dabei ein Torso. Es kommt wohl nur darauf an, ob man dem Fragment unseres Lebens noch ansieht, wie das Ganze eigentlich angelegt und gedadelt war und aus welchem Material es besteht. Es gibt schließlich Fragmente, die nur noch auf den Kehrichthaufen gehören (selbst eine anständige »Hülle« ist noch zu gut für sie), und solche, die bedeutsam sind auf Jahrhunderte hinaus, weil ihre Vollendung nur eine göttliche Sache sein kann, also Fragmente, die Fragmente sein müssen – ich denke z. B. an die Kunst der Fuge. Wenn unser Leben auch nur ein entferntester Abglanz eines solchen Fragmentes ist; in dem wenigstens eine kurze Zeit lang die sim immer stärker häufenden verschiedenen Themata zusammenstimmen und in dem der große Kontrapunkt von Anfang bis zum Ende durchgehalten wird, so daß schließlich nach dem Abbrechen höchstens noch der Choral: »Vor Deinen Thron tret‘ ich allhier« intoniert werden kann, dann wollen wir uns auch über unser fragmentarisches Leben nicht beklagen, sondern daran sogar froh werden.

– Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, Siebenstern 1974, S. 114 f.