
Die Benediktsregel ist einerseits die Ordensregel der Benediktiner, 1500 Jahre alt, andererseits ist sie ein christlicher Lebensleitfaden, dessen Bedeutung nie abgenommen hat. Weise und ausgewogen, radikal und gottesfürchtig zugleich zeichnet Benedikt den Weg zu Gott und zur Heiligkeit. Die Regel bleibt, zusammen mit der Imitatio Christi, eines der großen Monumente christlicher Literatur.
Mit Macht klingen ihre ersten Worte:
Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat! So kehrst du durch die Mühe des Gehorsams zu dem zurück, den du durch die Trägheit des Ungehorsams verlassen hast.
An Dich also richte ich jetzt mein Wort,
– Prolog der Benediktsregel
wer immer du bist, wenn du nur dem Eigenwillen widersagst, für Christus, den Herrn und wahren König, kämpfen willst und den starken und glänzenden Schild des Gehorsams ergreifst.
Benedikt spricht in biblischer Sprache vom Herzen, das hört (vgl. Prolog 1), von der Bereitschaft, sich der göttlichen Unterweisung zu öffnen. Das monastische Leben wird als ein Weg des Hörens, der inneren Sammlung und der tätigen Gottesliebe vorgestellt.
Besonders bemerkenswert ist Benedikts Menschenbild. Der Abt soll nicht herrschen, sondern dienen – wie Christus selbst. Er wird als ein weiser Arzt beschrieben, der jedem das Heilmittel zukommen lässt, das seiner Natur entspricht. Pastorales Feingefühl durchzieht die ganze Regel: Disziplin ist notwendig, aber immer im Blick auf das Heil der Seelen. Der Mönch wird nicht zur Uniformität gezwungen, sondern in seiner je eigenen Berufung ernst genommen – auch und gerade in seiner Schwäche.
Die Struktur der Regel ist klar und nüchtern: Gottesdienst, Arbeit, Lesung – ora et labora et lege. In dieser Trinität des Alltags wird das ganze Leben durchwoben von der Gegenwart Gottes. Die Liturgie erhält zentrale Bedeutung; sie ist die opus Dei, das Werk Gottes schlechthin. Arbeit ist nicht bloß Notwendigkeit, sondern Mitwirkung an der göttlichen Schöpfung. Die geistliche Lesung (lectio divina) öffnet das Herz für das lebendige Wort.
Benedikt verfasste seine Regel in einer Zeit des Umbruchs: Das weströmische Reich war zerfallen, politische Instabilität und geistliche Orientierungslosigkeit prägten das öffentliche und kirchliche Leben. In dieser Zerklüftung war sein Ziel, eine stabile Lebensordnung zu schaffen, in der das Evangelium konkret gelebt werden konnte – Tag für Tag, in Gemeinschaft, unter einem geistlichen Vater. Die Regel war die Antwort auf den Zerfall der äußeren Ordnung: ein Versuch, im Kleinen eine neue, von Christus geprägte Kultur zu begründen.
Im Prolog formuliert Benedikt seinen Anspruch mit klarer geistlicher Ausrichtung: Er schreibt für jene, die „unter der Führung des Evangeliums das Leben suchen wollen“. Damit richtet sich die Regel nicht nur an Mönche, sondern an alle, die Christus ernsthaft nachfolgen wollen.
Hier ist die Regel online verfügbar.
Jeder kann in der Regel finden, was er braucht. Alle Christen finden für das christliche Leben Werkzeuge, ungeheuer einfach und schlicht:
Vor allem: Gott, den Herrn, lieben mit ganzem Herzen, ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Ebenso: Den Nächsten lieben wie sich selbst. Dann: Nicht töten. Nicht Ehe brechen. [Und vieles mehr…]
Das sind also die Werkzeuge der geistlichen Kunst. Wenn wir sie Tag und Nacht unaufhörlich gebrauchen und sie am Tag des Gerichts zurückgeben, werden wir vom Herrn jenen Lohn empfangen, den er selbst versprochen hat:
„Was kein Auge gesehen und kein Ohr gehört hat, hat Gott denen bereitet die ihn lieben.“ (1Kor 2,9)
Regula, Kapitel 4
Für Krankheit und Not kann man hier sehr praktische Richtungsweisung finden, von frischem Realismus und großer Bodenständigkeit:
Die Sorge für die Kranken muss vor und über allem stehen: Man soll ihnen so dienen, als wären sie wirklich Christus; hat er doch gesagt: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,36), und : „Was ihr einem dieser geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 20) Aber auch die Kranken mögen bedenken, dass man ihnen dient, um Gott zu ehren; sie sollen ihre Brüder, die ihnen dienen, nicht durch übertriebene Ansprüche traurig machen. Doch auch solche Kranke müssen in Geduld ertragen werden; denn durch sie erlangt man größeren Lohn.
Regula, Kapitel 36
Im Speziellen sind auch die Mönche und künftigen Mönche angesprochen – im Allgemeinen gilt jeder einzelne Abschnitt der Regel für sie:
Wie es einen bitteren und bösen Eifer gibt, der von Gott trennt und zur Hölle führt, so gibt es den guten Eifer, der von den Sünden trennt, zu Gott und zum ewigen Leben führt.
Diesen Eifer sollen also die Mönche mit glühender Liebe in die Tat umsetzen, das bedeutet: Sie sollen einander in gegenseitiger Achtung zuvorkommen; (Röm12,10) ihre körperlichen und charakterlichen Schwächen sollen sie mit unerschöpflicher Geduld ertragen; im gegenseitigen Gehorsam sollen sie miteinander wetteifern; keiner achte auf das eigene Wohl, sondern mehr auf das des anderen; die Bruderliebe sollen sie einander selbstlos erweisen; in Liebe sollen sie Gott fürchten; ihrem Abt seien sie in aufrichtiger und demütiger Liebe zugetan.
Christus sollen sie überhaupt nichts vorziehen. Er führe uns gemeinsam zum ewigen Leben.
Regula, Kapitel 74
Mehr von Benediktinern, über Benedikt von Nursia und über das benediktinische Leben: hier.