Franz Werfel: Das Lied von Bernadette. Liwi 2019

Das Lied handelt von Bernadette Soubrious, der kleinen Seherin aus Lourdes, dem Mädchen, dem in den Pyrenäen die weiße Dame erschien und die dem Kind unverständlichen Worte sagte: „Ich bin die Unbefleckte Empfängnis“. Der Sänger ist Franz Werfel, jener österreichische Jude, der für jedes jüdisch-christliche Drama zum wohlklingenden Instrument geworden ist.

Ein Roman, Werfels meistverkaufter, zugleich eine Hagiographie erster Güte. Ein weiteres Monument für einen Heiligen hat er dem Propheten Jeremia gesetzt, mit dem Roman Höret die Stimme.

Mehr von Werfel gibt es hier. Mehr zu Bernadette gibt es auch, von Laurentin.

Das Buch steht online hier, bei Gutenberg.

»Die Dame hat mir gesagt«, beginnt das Mädchen, mit Tränen in der Kehle.

Der Pfarrer unterbricht sofort:

»Was heißt das? Welche Dame?«

»Die Dame von Massabielle …«

»Mir unbekannt …«

»Aber die wunderschöne Dame doch, die immer zu mir kommt …«

»Ist diese Dame aus Lourdes? Und kennst du sie?«

»Nein, die Dame ist nicht aus Lourdes. Ich hab sie nie gekannt.«

»Hast du sie gefragt, wie sie heißt?«

»O ja, ich hab die Dame schon gefragt, wie sie heißt. Aber sie gibt keine Antwort drauf …«

»Ist die Dame vielleicht taubstumm?«

»Nein, die Dame ist nicht taubstumm. Sie redet mit mir.«

»Und was redet die Dame mit dir?«

Bernadette ergreift die Gelegenheit und fällt rasch ein:

»Die Dame hat mir heute gesagt: Gehen Sie bitte zu den Priestern und sagen Sie ihnen, man soll hier eine Kapelle bauen …« Bernadette atmet auf. Es ist heraus, dem Himmel sei Dank. Der Auftrag ist erfüllt.

Peyramale zieht einen Stuhl heran und läßt sich breit nieder, das verschüchterte Mädel mit seinen feurigen Augen fressend:

»Priester? Was heißt das? Deine Dame scheint eine ausgemachte Heidin zu sein. Auch die Kannibalen haben Priester. Wir Katholiken haben Geistliche, die jeder einen bestimmten Titel führen …«

»Die Dame aber hat ›Priester‹ gesagt«, bekennt Bernadette, der etwas leichter zumute ist, seitdem sie ihre Botschaft an den Mann gebracht hat.

»Du bist bei mir an die falsche Adresse geraten«, blitzt und donnert Peyramale. »Hast du übrigens Geld, um eine Kapelle zu bauen?«

»O nein, ich hab gar kein Geld.«

»Nun, dann richte der Dame aus, sie möge zuerst das Geld für ihre Kapelle beschaffen, willst du?«

»Jawohl, Monsieur le Curé, ich werd‘ es ausrichten«, erklärt Bernadette mit gefälliger Raschheit und in vollem Ernst. Peyramale starrt sie ungläubig an und wundert sich über die Naivität dieses Geschöpfes.

»Unsinn«, ruft er und springt auf. »Richte deiner Dame folgendes aus: Der Pfarrer von Lourdes ist nicht gewöhnt, Aufträge von unbekannten Damen entgegenzunehmen, die ihren Namen nicht nennen. Der Pfarrer von Lourdes findet es außerdem nicht besonders fein, wenn Damen mit nackten Füßen auf Felsen herumklettern und unreife Halbwüchsige als Boten bestellen. Und der Pfarrer von Lourdes bittet zum Schluß die Dame ganz ergebenst, daß sie ihn ein für allemal in Ruhe läßt. Das ist alles. Hast du’s verstanden?«

(Werfel: Das Lied von Bernadette, Kapitel 18, Dechant Peyramale fordert ein Rosenwunder)