In einer Sammlung der besten christlichen Literatur darf natürlich einer nicht fehlen: J.R.R. Tolkien, der Großmeister (und eigentliche Begründer) der so genannten Fantasy-Literatur, die bei ihm aber viel mehr ist, als das, was die heutige Unterhaltungsindustrie aus Elfen, Hobbits, Orks und ihren Kriegen gemacht und dadurch den ursprünglichen Zauber seiner märchenhaft anmutenden Werke häufig auf ihre primitivsten Elemente reduziert hat.
Tolkien, der gläubige Katholik und Professor für Sprachwissenschaft, war zuallererst eines: Liebhaber alter, vor allem nordischer Sagen und Legenden (und dazu noch ausgezeichneter Kenner der zugehörigen Sprachen). Seine Faszination mit diesem mythischen Stoff blieb nicht bei der reinen wissenschaftlichen Auseinandersetzung stehen, sondern er verwob ihn zu etwas neuem und erschuf eigenes: Eigene Welten, eigene Geschichten, eigene Sprachen.
Empfohlen sei hier das Silmarillion, der große Epos, die ganze Weite des tolkienschen Universums, das eigentlich eine Sammlung verschiedener Erzählungen ist, die aber harmonisch ineinandergreifen, weil sie ein gemeinsamer Geist verbindet. Auch wenn nicht explizit christlich, so ist die von Tolkien erschaffene Welt durchdrungen von christlichen Elementen, von seinem eigenen christlich geprägten Weltbild. Sie ist voll Leid und voll Schönheit, voll Verlust und voll Hoffnung, voll Schwäche und voll Entschlossenheit zum Kampf. Immer wieder gewinnt das Böse (scheinbar) die Oberhand, immer wieder wird ihm die Stirn geboten.
Dieser Kampf ist bereits angelegt in der Erschaffung dieser Welt, womit Tolkien gleichzeitig eine bildliche Veranschaulichung des Wirkens des Bösen zeichnet, in der viele christlich-theologische Elemente anklingen.
Aber zuerst einmal über die Schöpfung seines Universums selbst, die bereits das Versprechen ihrer Vollendung enthält:
Im Anfang schuf Eru, der Eine, der in der Elbensprache Ilúvatar heißt, aus seinen Gedanken die Ainur; und sie spielten vor ihm eine große Musik. In dieser Musik begann die Welt […].
Eru war da, der Eine, der in Arda Ilúvatar heißt; und er schuf erstens die Ainur, die Heiligen, Sprößlinge seiner Gedanken; und sie waren bei ihm, bevor irgend andres erschaffen war. Und er sprach zu ihnen, sie Melodien lehrend, und sie sangen vor ihm, und er war froh. […]
Und es geschah, daß Ilúvatar die Ainur alle zusammenrief und sie eine gewaltige Melodie lehrte, die größere und herrlichere Dinge auftat, als er ihnen je gezeigt hatte; und der Glanz ihres Anfangs und die Pracht ihres Endes verwirrten die Ainur, so daß sie sich vor Ilúvatar verneigten und still waren.
Da sagte Ilúvatar zu ihnen: ‚Aus dem Thema, das ich euch gewiesen, machet nun in Harmonie gemeinsam eine Große Musik. […] Ich aber will sitzen und lauschen und froh sein, daß durch euch solche Schönheit zum Liede erwacht.‘
Da begannen die Stimmen der Ainur zu erschallen wie Harfen und Lauten, Flöten und Posaunen, Geigen und Orgeln, und sie machten aus Ilúvatars Thema eine große Musik […] und die Musik und ihr Echo hallten hinaus in die Leere, und sie war nicht mehr leer. Nie wieder haben seither die Ainur eine Musik gleich dieser gespielt, doch heißt es, eine noch schönere solle vor Ilúvatar nach dem Ende aller Tage erklingen, von den Chören der Ainur und der Kinder Ilúvatars. Dann werden die Themen Ilúvatars rechtens gespielt werden und das Sein erlangen in dem Augenblick, da sie erklingen, denn alle werden dann ganz verstanden haben, welches für ihr Teil Ilúvatars Absicht ist, und jeder wird wissen, was jeder weiß, und Ilúvatar wird ihren Gedanken das geheime Feuer geben, und er wird sein Wohlgefallen haben.
J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion, Klett-Cotta, 2005 S. 25, 13+14.
Doch schon tritt das Böse auf in Form von Melkor, dem Widersacher:
Jetzt aber saß Ilúvatar und lauschte, und lange schien es ihm, daß es gut sei, denn die Musik war ohne Fehl. Wie aber das Thema weiterging, kam es Melkor in den Sinn, Töne einzuflechten, die er selbst erdacht hatte und die nicht zu Ilúvatars Thema stimmten, denn er strebte nach mehr Glanz und Macht für die ihm zugewiesene Stimme. […] Manche von diesen Gedanken flocht er nun in sein Lied, und Mißklang wuchs um ihn auf, und viele, die nahe bei ihm sangen, wurden unmutig; ihre Gedanken verwirrten sich, und ihr Gesang stockte; manche aber begannen sich auf ihn einzustimmen und von ihrem ersten Gedanken abzuweichen. Nun breitete sich Melkors Mißklang noch weiter aus, und die Melodien, die man zuvor gehört, scheiterten in einem Meer wirrer Töne. Ilúvatar aber saß und lauschte, bis daß es schien, ein Sturm dunkler Wasser tobe um seinen Thron, die in endlosem, unversöhnlichem Haß einander bekriegten. […]
Inmitten dieses Kampfes, der Ilúvatars Hallen erschütterte, so daß ein Beben in die Räume nie gebrochenen Schweigens hinauslief, stand Ilúvatar ein drittes Mal auf, und sein Antlitz war furchtbar zu schauen. Dann hob er beide Hände, und mit einem Akkord, der tiefer war als der Abgrund, höher als das Firmament und durchdringend wie das Licht aus dem Auge Ilúvatars, endete die Musik.
Da sprach Ilúvatar, und er sagte: ‚Mächtig sind die Ainur, und am mächtigsten unter ihnen Melkor; daß er’s aber wisse, er und alle Ainur, daß ich Ilúvatar bin, will ich euch jene Dinge zeigen, die ihr gesungen, und möget ihr sehen, was ihr getan. Und du, Melkor, sollst sehen, kein Thema kann gespielt werden, das nicht in mir seinen tiefsten Grund hätte, noch kann das Lied einer ändern, mir zum Trotz.’“
J.R.R. Tolkien: Das Silmarillion, Klett-Cotta 2005, S. 14+15.