Romano Guardini nimmt sich mit dem kleinen Büchlein Vom Sinn der Schwermut eines Gemütszustandes an, von dem auch der Christ zuweilen nicht verschont bleibt – ja, der manchen menschlichen Naturellen zutiefst wesenseigen ist – und deutet ihn geistig aus. Über Zitate Sören Kierkegaards nähert er sich dem Phänomen der schwermütigen Persönlichkeit, durchdringt ihre Untiefen und Versuchungen, bevor er ihren eigentlichen Sinn zu erschließen versucht, in der Hinordnung auf Gott.
„Schwer-Mut. Schwere des Gemütes. Eine Last liegt auf dem Menschen, die ihn niederdrückt, daß er in sich zusammensinkt […]. Tief verwundbar ist ein solches Leben. Diese Verwundbarkeit stammt wesentlich nicht aus Mängeln der Struktur oder aus einer Unzulänglichkeit der inneren Kraft – obwohl derartiges hinzukommen kann – sondern aus einer durch innere Vielfältigkeit der Anlagen bedingten Sensibilität des Wesens. Einfache Menschen, scheint mir, werden nicht schwermütig. […] Diese Sensibilität macht den Menschen verwundbar durch die Erbarmungslosigkeit des Daseins. Und zwar ist es gerade das Unaufhebbare darin, was verwundet; das Leiden überall; das Leiden der Wehrlosen und Schwachen […]. Im letzten kann man es nicht ändern. Es ist unaufhebbar. Es ist so und bleibt. Aber gerade das ist schwer. Verwundend sind die Armseligkeiten des Daseins; daß es oft so häßlich ist, so platt.“
Romano Guardini: Vom Sinn der Schwermut, topos 2024. S. 24-26.
„Das aber bringt uns an das Wertzentrum der Schwermut heran: in ihrem letzten Wesen ist sie Sehnsucht nach Liebe. Nach Liebe in all ihren Formen und in all ihren Stufen […]. Die Herzkraft der Schwermut ist […] das Verlangen nach Liebe und Schönheit. […] Die Schwermut verlangt nach dem schlechthin Vollkommenen; Unzugänglich-Geborgenen, ganz Tiefen und Innerlichen; nach dem Unantastbar-Vornehmen und Edlen und Kostbaren. […] Der Schwermütige verlangt danach, dem Absoluten zu begegnen, aber als Liebe und Schönheit.“
Romano Guardini: Vom Sinn der Schwermut. topos 2024, S. 44-46.
Die Erfüllung dieses Verlangens besteht darin, zu Gott zu kommen und zwar
„in jenem Akt, der Trennung und Verbindung zugleich ist: in Anbetung und Gehorsam. Jede Aussage über Gott, die nicht in den Akt der Anbetung eingehen kann, ist falsch; und falsch wiederum jedes Verhalten gegen Gott, das nicht in die Form des Gehorsams eingehen kann. […] Die eigentliche Lösung freilich kommt erst aus dem Glauben; aus der Liebe Gottes. Erst das Mysterium von Gethsemane – und hinter ihm das dunkle Mysterium der Sünde, mit allem, was sie gebracht hat, – erst das gibt die eigentliche Antwort; daß der Herr ‚traurig gewesen ist bis zum Tode‘; und daß er alle Last der Schwere hindurchgetragen hat in dem Willen des Vaters. Erst im Kreuz Christi liegt die Lösung für die Not der Schwermut.“
Romano Guardini: Vom Sinn der Schwermut. topos 2024. S. 56+57.
Kurz darauf brechen seine Überlegungen recht abrupt ab; es bleibt der Verweis auf das Mysterium des Kreuzes, das es zu meditieren gilt.
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