Maria Calasanz Ziesche: Die leeren Hände. Abt Berno von Reichenau 1008-1048. Beuroner Kunstverlag 2006

Wer Die letzte Freiheit von Sr Maria Calasanz Ziesche gelesen hat, ist Abt Berno dort bereits begegnet, dem väterlichen Freund, spirituellen Mentor und großen Vorbild des Reichenauer Mönches Hermann von Altshausen. In Die leeren Hände, einmal mehr erbaulicher Lesestoff aus frommer Feder, zeichnet die Autorin nun dessen Lebensweg nach: Von seinen Anfängen als Magister in der Reichsabtei zu Prüm, über seine Ernennung zum Abt der Abtei Reichenau wider Willen, bis hin zu der Annahme und Entfaltung dieser Lebensaufgabe und seiner Rolle als geistlichem Vater der ihm anvertrauten Mönche und Bewohner der Klosterinsel. Auch er muss viele Prüfungen, innere wie äußere Kämpfe bestehen und sein Weg bleibt beschwerlich bis zuletzt. Doch ist er zugleich von sichtbarem Erfolg gekrönt, blüht doch unter seiner Leitung das darniederliegende Kloster wieder auf, das zur augia deserta verkommen war. Beim Lesen bekommt man direkt Lust, die 1300 Jahre alte Klosterkirche am Bodensee zu besichtigen, die 724 gegründet wurde.

Anders als in Die letzte Freiheit gewährt die Autorin nicht so intensiv und schonungslos Einblick in das innere Ringen ihrer Hauptfigur; das Erzähltempo ist schneller, die Erzählzeit geraffter, die äußeren Szenen wechselvoller. Im Unterschied zum halbgelähmten Mönch Hermann, dessen Innenleben ihm all das an Reichtum bot und bieten musste, was ihm im äußeren Leben verwehrt blieb, ist Abt Berno unermüdlich tätig und gefragt. Doch auch er muss mühsam lernen, dass er am erfolgreichsten ist, wenn er seine leeren Hände Gott öffnet und Ihn sie füllen lässt.

Diesen Rat erhält er zuerst vom hl. Erzbischof Willigis von Mainz, dem er am Anfang seines Weges begegnet; weitere heilige Weggefährten sind der hl. Kaiser Heinrich II. und dessen Frau, die hl. Kunigunde, sowie der hl. Papst Leo IX.

Nun aber zu Bernos Anfängen und seinen Zweifeln angesichts der vor ihm liegenden Aufgabe, zu der er berufen wurde:

„Berno setzt sich in einen der schweren Eichenlehnstühle, steht bald wieder auf und wandert unruhig durch das weite Gemach. An der Rückwand des Raumes hängt ein holzgeschnitztes Kreuz. Der Künstler hat Christus als Lebenden dargestellt, als Sieger und zugleich als Gütigen, als Wissenden, als Herrn und Bruder. […]

In seinen zehn Klosterjahren hat Berno viele Kreuzdarstellungen gesehen. Manches Bild des Herrn hat ihn ergriffen und zu frommen Gedanken angeregt. Bei diesem Kreuz ist es anders. Er kann das Gefühl nicht benennen, das sich in ihm regt. Dieses Kreuzbild führt zu einer innigen Begegnung mit dem Herrn. Er vermeint, die Fragen zu hören, die Christus durch dieses Kreuz an ihn stellt. ‚Sag mir, Mönch Berno, wem folgst du? Suchst du wirklich Mich und Meine Ehre? Oder sucht dein rastloses Herz deine Ehre und deinen Ruhm? In Fleury, in Gorze und in Prüm waren deine gelehrten Werke anerkannt. In diesen Klöstern hat der Name Berno einen guten Klang. Ist das der Grund, warum du dich wehrtest, als König Heinrich dir die Augia deserta anvertraut hat? Dort hast du keinen Namen. Sie bringt dir keine Ehre ein. Wäre dir der Befehl des Königs nicht hochwillkommen gewesen, wenn die Reichenau noch die berühmte Augia dives wäre? Bedenke dies, Berno! Bedenke ferner, zu wem Ich gekommen bin! Ich kam zu den Armen und Kranken, zu den Kleinen und Einfältigen, zu den Bresthaften und Sündern.‘ […]

Weniger denn je weiß der zukünftige Abt der Augia, wie er seiner Sendung entsprechen soll. Er kann nur blind vertrauen und sich der Führung durch den Herrn überlassen.“

Maria Calasanz Ziesche: Die leeren Hände. Beuroner Kunstverlag 2006, S. 57+58.

Geistlichen Rat erhält er von Bischof Willigis:

„‚Ihr habt oft rebellische Gedanken, mein Sohn. Stellt Gottes Weisung trotz Eures Widerwillens dagegen nicht in Frage! Bringt das Opfer bewußt und ohne Abstrich! Macht Euch nichts vor. Es wird hart werden. Freut Euch, daß der Herr es Euch zutraut.‘ […]

Der Erzbischof hält gelassen seinen drängenden Fragen stand. Er bestätigt ruhig: ‚Bruder Berno, Ihr kommt mit leeren Händen. So ist es. Aber seht mich an. Als ich vor 33 Jahren nach Mainz kam, war ich verwirrt und unsicher und zudem verachtet. Ich bin bäuerlicher Herkunft. Einem jungen Priester gab man den Bischofssitz zu Mainz, einen der ehrenvollsten im Reich. War das nach menschlichem Ermessen nicht unsinnig und zum Scheitern verurteilt?‘ Berno beugt sich vor und forscht in seinem Antlitz als könne er dort die Antwort lesen. ‚Was machtet Ihr in dieser Lage vor 33 Jahren?‘ Der Erzbischof weist zum Kreuz. ‚Ich überlies mich dem Herrn und gab Ihm meine Armut. Ich tat es bewußt und ohne Vorbehalt. Und Er gab sich mir, damit ich andern geben konnte. Er füllte meine leeren Hände für meine Mainzer, für Kaiser und Könige, für das Reich und für meine lieben Armen.‘ Zaghaft meint der Mönch: ‚Es ist schwer, sich dem Herrn vorbehaltlos auszuliefern…‘ Der Erzbischof sieht, wie es im Gesicht des andern arbeitet. ‚Wir wollen miteinander und füreinander beten, lieber Bruder. Die Tage hier in Mainz sollen nicht nur eine willkommene Rast für Euren Leib sein, sondern auch eine wichtige Statio für Eure Seele.’“

Maria Calasanz Ziesche: Die leeren Hände. Beuroner Kunstverlag 2006, S. 58-60.