Die Fortsetzung von Gymnadenia spielt in den turbulenten Kriegs- und Nachkriegsjahren bis in die späten 1920er Jahre hinein. Der nun zum katholischen Glauben konvertierte Paul Selmer erlebt die Höhen und Tiefen dieser zwei Jahrzehnte und seines eigenen Lebens – und das Wirken der Gnade Gottes.
Jeden Morgen, wenn er mit den beiden Mädchen zur Messe in einer fremden Kirche ging, wo sie nicht fremd waren, betete er, wie er früher nie geglaubt hatte beten zu können. Sobald ein kleiner Abstand zwischen ihm und seinen Alltagsplagen lag, empfand er es bis in den tiefsten Grund seiner Seele: Jeder Tag dieser Jahre hatte ihm Dinge geschenkt, die er kaum bemerkt oder ordentlich verstanden hatte. Jeder Tag hatte seine Plage gehabt, die er empfunden hatte, aber darunter war sein Leben erneuert worden, so daß er nun wußte, sein Dank war nur ein kindliches Stammeln über Dinge, deren Wert zu erfassen er noch kaum angefangen hatte.
Sigrid Undset: Der brennende Busch. Rütten & Loening 1930, S. 407.
Das Lob der zeitgenössischen Kritik für den ersten Band gilt genauso für Der brennende Busch: „Man sollte es nicht für möglich halten, mit welcher Sicherheit, mit welcher hellseherischen Kraft hier eine Frau die Psyche eines jungen Mannes, die Psyche des Mannes überhaupt, gesehen und gestaltet hat, und wie sie das seltsame Wechselspiel, das wir Liebe, Leidenschaft und wie sonst auch immer nennen, hier in einer einzigen Form […] bestimmt.“ (Zitat aus Hannoverscher Kurier, Anhang, S. 539)
Abgesehen von alledem ist der Roman auch ein faszinierendes Zeitpanorama der norwegischen Gesellschaft, die (und mit ihr der Rest des christlichen Europas) in der Abwendung von ihren christlichen Wurzeln in ihren Grundfesten beginnt auseinanderzufallen. Doch auch angesichts jeglicher gesellschaftlichen Krise besteht die christliche Hoffnung fort, wie der Protagonist Paul zu verstehen lernt:
Er hatte nicht gewußt, daß es eine dritte Alternative in der Welt gab, und ein Heer, das für sie kämpfen wollte – eine streitende Kirche. […] Es war eine Organisation, die gleichzeitig ein Organismus war, ein Körper, eine Person, und diese sagte, die menschliche Gesellschaft müsse auf Christus aufbauen, und dies würde teuer werden. […] Wenn das Erdbeben auf Golgotha den Grund erschüttert, stürzt alles zusammen, was billig und schlecht gebaut ist […]. Aber das, was bestehen bleiben soll, wächst unablässig, denn hier gibt es die Möglichkeit die Menschen zu mehr als nur Menschen zu machen.
Sigrid Undset: Der brennende Busch. Rütten & Loening 1930. S. 285+286.
Wer sich für Konvertitenliteratur interessiert, Fan der norwegischen Schriftstellerin Sigrid Undset ist oder einfach gerne kluge christliche Romane liest, dem werden die zwei Bände Gymnadenia und Der brennende Busch gefallen. Allerdings sind sie (fast 100 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung) nur antiquarisch aufzustöbern.